Alle Texte.
Panoptisches Tagebuch (XIII)
Strahlend helle Mondlichtnacht. Das Jazz-Konzert war der Hammer. Der Trompeter nimmt mein Gras und gibt es mir nicht zurück. Ich muss ihn vor allen fragen, ob ich mein Gras wiederhaben kann. Die machen das oft so. Das ist so ein Hierarchie-Ding. Nebendran sitzen zwei Deutsche und einer sagt: „Gestern abend hab ich mich in meinen neuen g20 gesetzt, das hat mich so richtig geerdet und zentriert. Das ist halt noch ein Auto.“ Am Tisch gegenüber: Sie ist mit ihrem Mann und Baby da, aber ihr leicht tätowierter fuß windet sich in seiner Sandale wie eine Schlange. Nur ich kann den Fuß sehen. Er winkt mir. Er ist ihre Möglichkeit zu Flirten ohne die Familie zu betrügen. Ich sehe durch das Fenster hinaus: Ein halbnackter Jüngling steht in einem leeren Zimmer und leuchtet es mit einer Lampe aus. Einer meiner Freunde sagt vor einer schönen Frau über mich: Er hat den Grünen Daumen. Aber in Wahrheit kaufe ich nur regelmäßige frische Blumen, weil mir die alten immer eingehen. So errichte ich ein Lügengebäude. Die schöne Frau ist mit ihrem Freund hier. Er ist gar nicht ihre Liga und deswegen ultra-defensiv. Er lässt niemanden an sie ran. Daher kommt er auch jetzt zu uns und findet einen fadenscheinigen Grund, um sie wegzuziehen. Einer der Jazzmusiker trägt einen blauen Hut mit vielen kleinen bunten Püppchen drauf. Er blitzt bei der schönen Frau ab, weil ihr Freund sie wegzieht, da stellt er sich zu uns und sagt: Ich verdiene meine Brötchen als Mouleur in New Orleans. Ich mache und verkaufe Gesichtsmasken aller Art, Moulagen. Stelle mich damit auf die Bourbon Street und verkaufe sie. Ich habe Masken von Elvis und von Oprah und O.J. Simpson, aber auch von Freddy Krueger und von allen seinen Opfern. Auch von berühmten Opfern von Gewaltverbrechen. Tatsächlich habe ich mich darauf spezialisiert. Dann erzählt er von seinem Gig in China. Sie hätten in einer Geisterstadt in China gespielt. Eine riesige Stadt voller Rohbaue, die nie bezogen wurde, weil die Partei es sich irgendwann anders überlegt und wo anders die gleiche Stadt nochmal aufgebaut hat. (Er macht eine Bewegung, die dem entspricht, wie sich Amerikaner einen kommunistischen Gruß vorstellen) Dort lebt kein einziger Mensch. Nur Roboter. (Auf Nachfrage gibt er zu, dass es doch etwa dreißig Menschen gab). Nur Roboter! Die haben dort Roboterkellner! Und hier kannst du nicht mal mit Karte bezahlen! Da lacht er und schlägt sich auf die Schenkel und ein Püppchen fällt von seinem Hut herunter und meine Tüte Gras aus seinem Jackett. But when i came home… sagte er, da kam ich an einer niedergerissenen Statue von Martin Luther King Jr. vorbei (Er war anscheinend Sklavenhändler gewesen) und dachte mir: Die Revolution frisst letztendlich ihre Eltern. Wir werden abgelenkt von Geschrei in der Nähe des Aquariums, dem Herzstück des Jazzclubs in diesem Hotel. Ein Mann steht darin auf einem künstlichen Hügel und streckt eine Trophäe in die Höhe, eine Seegurke. Shirley vom Einlass (mit der nicht zu Spaßen ist) steht mit verschränkten Armen am Zugang, weswegen der Mann zu entkommen versucht, indem er ins Wasser springt und über die Scheibe klettert. Das Wasser schwappt. Er fällt zwei Meter tief, rutscht aus und ist bewusstlos. Es klatscht. Ein Irischer Polizist im Urlaub am Nebentisch zuckt nur mit den Achseln und erzählt mir, das größte was er in seiner Karriere erlebt habe, war, dass er einen Serienmörder abführen gedurft hat. Als ich nachfrage, wie das für ihn gewesen ist und ob er hinter dem Verbrecher den Menschen sehen konnte, sagt er: „We despise’em“. Da verschlechtert sich das Wetter. Ein Tornado zieht durch die Stadt, sagt man. Allgemeine Unruhe. Eine Frau, die sich in den Club rettet, berichtet, dass sie gesehen habe wie die Windhose Stromkästen ausgerissen hat und die Funken mit sich in die Lüfte gerissen hat. Ein Funkensturm sei entstanden. Es sei wunderschön gewesen. Sie habe Angst um ihr Leben gehabt. Es gibt ein Erdbeben. Das Aquarium hält stand. Doch die Fliesen im Boden springen auf, explodieren förmlich nach oben, weil der Druck die Fließen erhitzt. Ein Mann ruft laut „Josef Maria Jesus!“, aber es ist kein Hilferuf, sondern er ruft seinen Sohn, der Josef Maria Jesus heißt. Dann wache ich auf, aber so ist es ja nicht. Man sagt das nur, wenn man sich nicht weiter an den Traum erinnern kann. So wie sich auch niemand ans Einschlafen erinnern kann, kann sich auch niemand ans Aufwachen erinnern. Der Traum geht einfach weiter, und man diffundiert hinaus. Und nur weil ich mich nicht recht anstrenge, kann ich den Traum nicht wahrnehmen, kann ich nicht weitererzählen.
Panoptisches Tagebuch (XIII)
Ich sitze im Café und lese Zeitung. Ich lese, dass ein bolivianischer Gangleader versucht hat, aus dem Gefängnis zu entkommen, indem er sich als seine eigene Tochter verkleidet hat. Nachdem er entdeckt wurde, hat er sich umgebracht. Ich frage mich, wie man nach einer solchen Nachricht überhaupt noch Geschichten erfinden kann? Wie soll man etwas Verrückteres erfinden? Ich versuche es: In Pakistan wandern Menschen durch die Lande und ziehen riesige schwebende Ballons hinter sich her. Die Ballons enthalten Kochgas, das sie in der Stadt abfüllen und so nach Hause bringen. Wenn ihnen einer eine Zigarette gegen den Ballon schnippte, explodierten sie in einem großen, leuchtenden Knall. Natürlich ist auch diese Geschichte nicht erfunden. Sie steht in der Zeitung direkt unter der Geschichte mit dem Gangleader. Also probiere ich eine andere Methode: Ich habe eine Idee und google sie, und schreibe dann einfach auf, was andernorts wirklich passiert ist: Gibt es einen Skydiver, der ohne Fallschirm aus dem Flugzeug in ein riesiges Sicherheitsnetz springt? Ja. Gibt es eine 73jährige Frau, die wegen Bauchschmerzen zu Arzt geht und die Röntgenaufnahmen zeigen einen Fötus, der seit dreißig Jahren in ihr lebt? Natürlich. Gibt es eine Firma, die sich auf die Errichungen von Militärbunkern für Superreiche spezialisiert, damit sie im Falle der Apokalypse luxuriös und gut geschützt weiterleben können? Selbstverständlich. Was soll ich noch erzählen? Soll ich dir vom Ehestreit der Familie im Bunker erzählen? Von den Bauchschmerzen der 73jährigen? Von der Angst des Skydivers vor dem Absprung? Man kann nichts mehr erzählen. Unsere Zeit ist an ihr Ende gekommen. Und dieses Ende besteht nicht in der Auslöschung, sondern in der Langeweile.
Panoptisches Tagebuch (XII)
Auf unserer Fahrt durch die Wasserruinen von Venedig (Traum von gestern Nacht) können wir ganz gut die alte Grandezza erahnen. Touristen werden von Gondolieri auf die Dächer gebracht, welche mit Löchern versehen sind, von denen tauchbootartige Fahrstühle ins Innere der Paläste und Kontore hinabfahren. Man hat dort unten, wie in einem Vergnügungspark, bewegliche Puppen installiert, die das Renaissanceleben nachstellen, ausgeleuchtet von großen Flutlichtscheinwerfern: In den Casinòs sitzen die Aristokraten und spielen Faro; Im Teatro La Fenice kann man einen von Tauchern aufgeführten Tancredi sehen (Über die Kopfhörer wird die Referenzaufnahme eingespielt); Der Markusplatz wird täglich von Seetang und Ablagerungen gereinigt, tausende Ohrenquallen haben dort das Erbe der Tauben angetreten. In letzter Zeit droht der Wasserspiegel zu sinken, was die Venezianer in helle Aufgregung versetzt, weil sie vermuten, dass es die Tourismusbranche zerstören könnte.
Panoptisches Tagebuch (XI)
Im Fernsehen kommt wieder Wetten, dass…? und unter den Gästen ist Peter Sloterdijk, der Philosoph. Während Sloterdijk auf seine Fragen in perfekt geschliffener Prosa, aber äußerst langsam und stockend, antwortet, redet ihm Gottschalk immer wieder mitten hinein, so dass eine von Gottschalk-Einwürfen durchsetzte groteske Analyse der Merkeljahre im Stil von Robert Musil, Arno Schmitt und Franz Kafka entsteht. Sloterdijk ist zu sehr Profi, um sich etwas anmerken zu lassen, daher wirkt er sanft, aber in Momenten, da er meint, dass das Mikro aus ist, hört man ihn zu seiner Nebensitzerin (Heidi Klum) sagen: „Eine Ungeheuerlichkeit!“ Nun beginnt der Doppelmonolog von Neuem und mir fällt auf, dass Gottschalk und Sloterdijk auf absurde Weise perfekt zueinander passen. Sie sind ein Dream-Team. Sie sind das perfekte Paar. Gottschalk hat das mit dem Fernsehen gemacht, was Sloterdijk mit der Philosophie gemacht hat.
Das erinnert mich an eine Szene aus meiner Studentenzeit: Ich bin in meinem Studentenwohnheim, komme aus der Dusche, und da steht Harald Schmidt mit einem Kamerateam und sagt „Uuuuuuund….“ mit einem ganz deutliche hörbaren Glottisschlag und einer Vokalfärbung, die eher Richtung „Oooooooooond…“ geht und gegen Ende des Wortes, das vielmehr ein Klang ist, ein Ein-Wort-Gesang, der zwischen den Gags überbrücken soll, schließt sich sein Mund. Sie machen hier eine Sendung über seine Studentenzeit, weil er hier auch studiert hat, aber sie hätten doch vorher Fragen können, was soll denn das?
Panoptisches Tagebuch (X)
Manchmal habe ich Erinnerungen an Räume, von denen ich nicht mit Sicherheit sagen kann, dass sie nicht vielleicht doch einem Traum entstammen. Sie sind einfach zu weit weg, wie zum Beispiel dieses Skate-Geschäft, in dem ich einmal war oder nicht war; dort gab es Rollen für Skateboards oder Rollerblades in allen Ausführungen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, warum ich je in einem solchen Laden gewesen sein sollte. Und gerade dies lässt mich vermuten, dass es sich um eine Erinnerung und nicht um einen Traum handelt. Die Vagheit der Szene erlaubt es mir, etwas hinzuzuerfinden: Dich. Manchmal kommen mir die Räume einfach, Traumgestalten, wie sie sind, und fern sind sie, und bleiben fern und werden auch nicht deutlicher bei näherer Betrachtung. Schließlich ist das Sich-Vertiefen in die Traum-Erinnerung ja selbst ein Eingriff in die Wirklichkeit des Traumes, der Erinnerung. Weil die Beobachtung ja immer auch ein Eingriff ist, das wusste schon der Heisenberg, der Bohr, der Schrödinger, sie alle wussten, dass das Skate-Geschäft bei näherer Betrachtung nie das Skate-Geschäft des ersten Traumes bleiben wird. Das Skate-Geschäft des ersten Traumes, mit den Rollerblades, den Gummirollen, schlechten ausgedruckten Graffiti, das wird es nie mehr geben können. Denn das erste Träumen dieses Bildes – oder war es doch Erinnerung? – ist Geschichte, wird mit jedem neuen Aufruf der Erinnerung verfälscht und idealisiert.
Panoptisches Tagebuch (IX)
Einmal, es war Frühling und Herbst zugleich, ging ich arglos durch die Straßen eines deutschen Mittelzentrums. Die Menschen in der Provinz wirken ja manchmal wie nicht ganz gelungene Versionen eines großstädtischen Idealtypus: Sie tragen die aktuelle Mode nicht richtig, sie schustern sich ihr Erleben eklektischer zusammen und halten das für Ideologiefreiheit, selbst ihre Gesichter sind weniger perfekt.
Auf der andern Straßenseite sah ich einen Vater (Athleisure, Sneaker, Leggins) mit Kind und dachte mir: Schön, ein Vater nimmt sich Zeit für sein Kind, zieht es hinter sich her, bringt es durch, schleppt es durch die Untiefen des Alltags. Da fällt mir sein Blindenstock auf. Typisch, denke ich mir, Männer! Aber kaum komme ich zurande mit meiner Empörung, da sehe ich das andere Geschlecht, eine Boho-Frau in einem fließenden Maxikleid, einer geblümten Tunika mit Fransen und Stickereien, die ihren Hund trägt und ihre Katze an der Leine führt.
Ein etwa fünfundfünfzigjähriger, korpulenter Mann steht hinten auf dem fahrbaren Stuhl seiner alten Mutter. Sie fahren gemeinsam durch die Stadt. Sie will nicht mehr alleine raus, er wohnt noch bei ihr und will nicht laufen. Er behauptet in letzter Zeit, dass er bei ihr wohnt, weil er sie ja nicht alleine lassen kann. Aber das stimmt nicht, denn er ist nie ausgezogen. Überhaupt gibt es viele einsame alte Leute. Sie bleiben immerwieder stehen mit ihrem Rollator, ihrem Stock, halten sich an einem Auto fest, manche hangeln sich an den Häuserwänden entlang. Die Bordsteine bereiten ihnen große Sorgen. Es gibt niemanden, der für sie einkauft. Sie müssen es selber tun. Mit ihren Kindern haben sie sich zerstritten oder die Kinder wohnen in Stuttgart. Also verschnaufen und weiter geht’s. Vor einem Friseursalon stehen Astronautinnen. Es sind Frauen mit Herzchentatoos, die Aluminiumfetzen in den Haaren haben und rauchend in die Ferne starren. Aber es gibt keine Ferne, sondern da ist eine Altbaufassade, durch die sie hindurchschauen.
Vor mir geht eine dürre Frau in einer abgetragenen Bluse die Adenauerstraße entlang, über zehn Minuten, und mir fällt plötzlich auf, dass sie ein Teppichmesser in der rechten Handfläche hat. Mit jedem Auto, das sie passiert, hebt sich das Handgelenk in einem leichten Winkel, als überlegte sie sich, die Klinge auszufahren und eine gerade Linie beim vorübergehen hineinzukratzen. Vor ihr eine Gruppe Kinder. Bevor sie sie erreicht, biege ich rechts ab.
Aber am meisten fertig macht es mich, dass ich immer und überall dieses Parfüm rieche. Dieses Parfüm, das vor vier Jahren in war. Jetzt taucht es hier überall auf. Ich schaue in den Himmel. Die Glaskörperflocken sind weg. Weißt du, diese kleinen transparenten Flocken, die man immer sieht, wenn man in den Himmel schaut. Ich weiß nicht, ob das was zu bedeuten hat.
Panoptisches Tagebuch (VIII)
Eine der traurigsten Geschichten, die mir in letzter Zeit passiert ist, ist die folgende: Mein Nachbar ist der talentierteste Influencer der Welt. Er baut nutzlose Maschinen, die ihm z.B. die Schuhe anziehen oder ihm einen Kaffee zubereiten, oder durch einen Domino-Effekt ganz viele interessante Phyiksachen zeigen, alles mechanisch und lustig. Das ist aber nicht das Besondere, denn sowas gibt es ja schon. Was ihn einzigartig macht, ist, dass er sich derartige Fähigkeiten alle sechs Monate neu antrainiert. Alle sechs Monate erstellt er ein neues Profil und macht etwas, was er vorher noch nicht konnte, und immer ist es eine komplett nutzlose Fähigkeit, die niemandem hilft. Davor war er zum Beispiel ein Nunchaku-Master. Er hat wochenlang das Nunchaku trainiert und damit Kunststücke gelernt, die, richtig gefilmt, aussehen wie eine abgefahrene Ninja-Kraft. Solche Sachen wie Pfeile in der Luft abwehren und Ziegelsteine zerschlagen und diese Nunchakus um den Kopf wirbeln lassen undsoweiter. Und davor war er Speedrunner, das heißt er hat Rekorde aufgestellt im Schnell-Durchspielen von Computerspielen wie Super Mario Bros (er hat sich natürlich eher in Nischen-Spielen wie Psychonauts oder System Shock 2 hervorgetan, weil man da schneller erfolge vorweisen konnte). Davor hat er akrobatische Kunststücke mit Gymnastikbällen vollführt (er setzte sich z.B. eine Brille mit den Füßen auf, während er auf dem Gymnastikball lag). Davor hat er eine absurde Persona gespielt, einen Mann, der u.a. in einem Kaufhaus ein Plädoyer für den Stuhlgang hält. Davor hatte er eine große Youtube-Gameshow, bei der japanische Mädchen je zu zweit ein Glasrohr in den Mund nehmen und pusten müssen und in der Mitte ist eine Kakerlake und eine gewinnt. Davor machte er so Remi Gaillard Pranks, wo er sich mit einem E-Bike eine Verfolgungsjagd mit der Polizei lieferte. Was er davor gemacht hat, weiß ich nicht, aber sicher etwas Ähnliches. Wenn ich ihn im Flur traf, erzählte er mir immer von seinem neusten Coup und wie er schon wieder hunderttausende Follower hatte. Und ich fand es am Anfang interessant, aber dann hörte ich ihn morgens einmal durch die Wohnungstür seine Wohnung abschließen. Er brauchte dafür dreißig Minunten. Immer wieder kehrte er hektischen Schrittes zurück, ging nocheinmal hinein, schien etwas zu überprüfen, schloss wieder ab, wartete, schloss nochmal ab. Das ging wochenlang so. Schließlich brauchte er bis zu sechzig Minuten dafür, das Haus zu verlassen. Ich überlegte, ihm Hilfe anzubieten, aber ich tat es nicht. Ich setzte mich hinter die Wohnungstür und hörte minutenlang zu. Vermutlich habe ich das, was er hat, nur seines ist vor, und meines hinter der Wohnungstür.
Panoptisches Tagebuch (VII)
Meine Lieblings-Barrista im Budapester Café Lissabon verlangt von Leuten, die er nicht leiden kann, weniger Geld. Es gibt Streit, er ist unfreundlich zu ihnen (das ist seine Natur, er sucht immer nach Möglichkeiten seine Gäste zu drangsalieren), und danach bekommen sie eine Rechnung, auf der 2 € fehlen. Manche gehen einfach ohne es zu merken, manche bemerken es und gehen besänftigt, weil sie es als ein Friedensangebot interpretieren, manche sind so irritiert, das sie überhaupt nicht wissen was sie tun sollen, weil die beiden Gesten Streitsucht und Geldgeschenk nicht zusammenpassen, und trauen sich nicht nachzufragen und gehen zögerlich, während sie hoffen, nicht aufgrund des falschen Preises zurückgerufen zu werden (was er nie tut). Doch wehe dir, wenn du dich dazu entschließt, mit dem Bon zum Barrista zu gehen und nach dem Grund für den falschen Preis zu fragen. Dann hast du ein Problem. Das solltest du niemals tun. Man kann in diesem Cafe praktisch keinen größeren Fehler begehen. Und ich denke, mein Barrista spürt auch, was ich spüre, und das ist der Grund, warum er das tut, was er tut.
Panoptisches Tagebuch (VI)
Einmal ging ich zu Fuß nach Hause. Kurz vor meiner Haustür kam ich an der Stelle vorbei, wo ich mein Auto geparkt hatte. Und da saß jemand in meinem Auto. Wenn man im öffentlichen Raum spaziert und sich vielleicht nicht genau daran erinnert wo man genau sein Auto geparkt hat, und es dann plötzlich erblickt, gibt es diesen Moment, in welchem Fremdes zu Eigenem wird. Man realisiert es nur allmählich, weil man vielleicht noch in Gedanken ganz wo anders ist, und plötzlich ist es deins! Und wenn du dann hineinschaust, und da sitzt jemand drin, den du nicht kennst, der dir aber auf eine ganz unangenehm angenehme Art ähnelt, kann das ziemlich verstörend sein.
Aber derlei unheimliche Momente sind es gerade nicht, die das erwähnte Gefühl erzeugen. Solche Momente verzaubern die Welt, sie lassen uns fragend zurück. Was ich meine, ist genau das Gegenteil: Erfahrungen, die man macht und denkt: Ach so ist die Welt, und es ist furchtbar, und man kann nichts daran ändern, und es gibt keinerlei Fragen mehr.
Zum Beispiel als ich mal einen Freund, der vor zwei Jahren Vater geworden ist, auf dem Spielplatz besucht habe. Man verlässt die Spielplätze ja mit Sechzehn, man drückt seine Zigaretten auf der Schaukel aus und geht, und dann betritt man sie erst wieder mit Mitte Dreißig, wenn man Kinder hat (und dann traut man sich nicht zu rauchen, weil das schlecht für die Kinder sein könnte). Alles war gut, bis er seinen Jungen rief. „Individuello“, rief er, „komm mal, du kannst gleich mit Besondra weiterspielen, Oma Igitte will mit dir Skypen“. Es kann sein, dass ich mich falsch an den Namen erinnere, aber sie geben auf jeden Fall wieder, wie sie auf mich gewirkt haben.
Panoptisches Tagebuch (V)
Meine erste Freundin habe ich bei einer Beerdigung eines gemeinsamen Feindes kennengelernt. Er war ein Wildlife-Youtuber, der sich immer von Leoparden und Geparden abschlecken ließ und Selfie-Videos machte, in denen er festhielt, wie sie sich von hinten an ihn anschlichen, wenn er ihnen den Rücken zuwandte. Dann drehte er sich um und kuschelte mit ihnen. Und es brauchte nur ein einziges Mal, wo der Leopard keinen Bock auf kuscheln hatte. (Man soll nicht schlecht über die Toten reden). Sie hatten etwas miteinander gehabt, weil er auf ihr Camouflage-Kleid stand, das sie immer trug, wenn sie in ihrem Camouflage-bedruckten Sprinter fuhr. Sie war damals schon 59. Und nun war sie sehr traurig über seinen Tod und hatte eine Band mit dem Namen „Free Fall Trauer“ gegründet, und ich hatte eine Band mit dem Namen „Auch und Gerade“. Sie erzählte mir, dass sie ihr Leben lang Ausbildungen gemacht hatte, und nie wirklich angefangen hatte zu arbeiten. Immer kurz vor der Prüfung hatte sie abgebrochen und was anderes gemacht. Sie hat beispielsweise Jetpack-Rennen für Redbull geflogen, hat Parkour auf verlassenen Ölbohrinseln gemacht, und als Tiermedizinerin in Argentinien aufgeblähte Kühe punktiert (Man sticht ihnen in die Seite, und dann entweicht das Methan geräuschvoll). Sie trägt ganz besondere Nail Art, mit Moskitos, die im Klarlack gefangen sind und alles sieht wie teurer Bernstein aus. Ich bin einfach sehr schlecht darin, das Alter von Frauen auf die Entfernung abzuschätzen, und fand sie von Weitem sehr attraktiv, und daher bin ich offensiv auf sie zu gegangen und habe ein Gespräch begonnen. Da konnte ich dann nicht mehr zurück. Peinlich. Dabei ist sie viel zu jung für mich. „Ich habe mich in dir verliebt“, sagte sie. Wow, dachte ich, das taugt eigentlich für einen Gedichtband. Auf jedenfall für ein Gedicht. Ich entschied mich, es mit ihr zu versuchen.
Mahlstrom
Ob das Nichtwissen nicht vielleicht die Rettung ist, derer wir uns nicht gewahr sind, unser metaphysischer Schutzengel? Was, wenn das Nichts und das Nichtwissen eine epistemisch-ontologische Allianz eingehen, um uns vor einer feindlichen Wahrheit zu schützen? Was, wenn diese Wahrheit nicht etwa die Erleuchtung und Erlösung wäre, sondern eine Art Ende von allem? Könnte es nicht sein, dass das Absolute keinerlei Bewegung mehr birgt, sondern in perfekter Zeitlosigkeit und Unveränderbarkeit nicht einfach die Schwester, sondern die Doppelgängerin des Todes ist? Was absolut wahr ist, ist unveränderbar wahr. Und wenn eine solche Monstrosität auch nur möglich wäre, müsste sie wohl einen Sog auf die materielle Realität ausüben, den diese nur mühevoll aushalten könnte. Doch letztlich bleibt natürlich unentscheidbar, ob dieser weißglühende Monolith des Absoluten existiert, oder ob es nur die epistemische Grenze ist, welche uns ein Possenspiel der Möglichkeit vorspielt. In gewisser Weise schützt uns der Rand vor dem Monolithen und der Frage nach seiner Existenz. Wir haben ja das zwanzigste Jahrhundert und seine arrogante existenzialistische Wahrheitsverneinung hinter uns. Aber die Verneinung der Existenz der Wahrheit beansprucht natürlich auch einen Zugang zur Wahrheit, um als Satz gelten zu können. Nur die klügeren Kommentatoren ertragen die Unentscheidbarkeit dieser ontologischen Frage und schütten nicht gleich das Kind mit dem Bade aus. Gerade hier liegt die Spannung, die quasi-hydraulisch das Sein am Fließen hält.
Aus der Erkenntnis der potenziell starren Wahrheit ergibt sich kein Konservatismus: Wir müssen nicht in Erkenntnis der Starre das Fragen einstellen, denn gerade diese Erkenntnis ist uns ja augenscheinlich verwehrt. Dabei ist es wichtig, auch hier immer die absolute Gewissheit der Aussage zu relativieren: Wenn wir nichts über die Absolutheit sagen können, können wir nicht einmal sagen, dass wir absolut nichts über die Absolutheit sagen können. Diese Denkfigur hat nicht zu Unrecht das Geschmäckle der Paradoxie. Es wird zu zeigen sein, dass es genau diese selbstreferentielle Schleife ist, welche die Grundkraft des Werdens ausmacht. Sie ist auf allen möglichen Ebenen verortet; von den empirischen, den epistemischen bis hinein in die ontologischen Bereiche. Sie ist das Stilmerkmal, das schon die Kybernetiker der zweiten Generation ausgemacht haben. Sie ist nicht Wert, sondern Funktion. Nicht Maschine, sondern ihre Arbeit. Nicht Hardware, sondern Software. Ist sie einmal angeworfen, saugt sie heraklitisch immer weiter. Gerade die Frage nach dem ersten Beweger ist es, auf der ihre eigene Wirkung beruht; gerade die Erfolglosigkeit der Ursachenuntersuchung ermöglicht die nächste Frage nach der Ursache.
Dabei ist das kein bloßes Ermöglichen der Frage, es ist ein Fragezwang, ein Sog ins Ungewisse. Gewiss kennt auch das schwarze Loch einen Abstand, ab welchem man sich seinem tödlichen Ruf widersetzen kann. Doch es ist schwierig, einen Ort zu denken, welcher komplett außerhalb des Einzugsbereiches läge. Es ist die leichte Strömung zu unseren Füßen, die wir im täglichen Werden verspüren. Und der Sturz ins schwarze Loch gelingt nur dem existenziell Beschädigten. Dabei ist auch dieser Sturz niemals ein Ankommen in der inneren Mitte des Nichts, sondern ein Zerriebenwerden im Mahlstrom der Grenze.
Es ist wie „PS ich liebe dich“, aber es hört nicht auf
Dieses Treatment sollte an die erfolgreichen Liebesfilme im Stil von „PS ich liebe dich“ anschließen, wurde aber aufgrund des dunklen Themas abgelehnt. Ich habe den Entwurf an M. Night Shyamalan geschickt, der mir riet, am Ende noch den Plottwist einzubauen, dass der Freund gar nicht wirklich tot ist, sondern seinen Tod nur virtuos vortäuscht, um seine Freundin loszuwerden, was ich ziemlich zynisch und postmodern fand. Nein, der Freund ist wirklich gestorben. T-O-T.
Mein Freund hat sich umgebracht. Das habe ich erst jetzt verstanden, zehn Jahre danach. Zehn Jahre schon quält er mich. Es war nicht seine Absicht, im Gegenteil. Er wollte, dass es mir gut geht. Er wollte, dass ich nie erfahre, dass er sich umgebracht hat. Er wollte, dass ich glaube, er sei zu einer großen Weltreise aufgebrochen und habe dort seine Bestimmung als Investmentbanker in Japan gefunden. Ich hasse Investmentbanker. Er wollte mir damit den Abschied erleichtern. Er hat alles bis ins Detail geplant. Eine Woche vor seinem Suizid ist er nach Japan in den Urlaub geflogen. Das hat übrigens auch nicht gestimmt, wie ich später rausgefunden habe. Aber jedenfalls hat er eine Firma engagiert, die für ihn zu bestimmten Daten Briefe verschickt. Der erste Brief hatte zum Inhalt, dass er länger in Tokyo bleiben müsse wegen der Arbeit und dass alles total stressig sei. Dann kam einer, in dem er mir gestand, dass er sich in eine Japanerin verliebt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war er lange schon tot. Und ich starb vor Liebeskummer. Buchte einen Flug nach Tokyo. Natürlich fand ich ihn dort nicht. Niemand konnte mir helfen. Sein Arbeitgeber nicht, seine Familie nicht. Die bekamen auch Briefe. Alle mit der gleichen Geschichte. Er sei jetzt Investmentbanker, sei jetzt ein richtiges Arschloch. Wir sind alle Hippies und haben für sowas kein Verständnis. Natürlich machte mich das stutzig, denn er war ja auch Hippie gewesen. Aber seine Erklärung war natürlich besser als davon auszugehen, dass er eine Packung Propofol geschluckt hatte. Ich kann mich an keine depressiven Episoden oder so erinnern. Ich habe das natürlich alles zwanghaft reflektiert. Jede Erinnerung, jedes Detail umgewendet. Viel schlauer hat es mich nicht gemacht. Nur die eine Erkenntnis hatte ich, nämlich, dass er ein Mensch war, der sich obsessiv mit einer Idee berauschen kann. Vermutlich hat er sich einfach an der Idee berauscht, aus dem Leben zu verschwinden, ohne jemanden damit in Verzweiflung zu stürzen. Wie könnte man sich umbringen, ohne dass man seinen Verwandten und Freunden damit schadet? So war er. Das ist die plausibelste Erklärung. Naja, jedenfalls hörte ich irgendwann auf zu suchen, verliebte mich neu. Es kamen ja noch Briefe, in denen er sich erklärte, und zwar auf eine Weise, die es mir erlaubte, ihn zu hassen. Ich suchte die Schuld nicht bei mir. Erstaunlich, wie er das geschafft hat, denn das ist eine Eigenart von mir. Die Briefe wurden seltener. Und hätten wahrscheinlich ganz aufgehört, doch nach zehn Jahren kam ein Brief, der in absolutem Gegensatz zur Weltpolitik stand. So konnte nur jemand schreiben, der ein zehn Jahre altes Weltbild hatte. Manche Länder, von denen er sprach, gab es nicht mehr, manche berufliche Aufgaben, die er nannte, Technologien, existierten so nicht mehr. Und am deutlichsten merkte man es an der Sprache: Mir ist schlagartig aufgefallen, dass wir in einer Zeit leben, in der sich die Sprache so schnell wandelt wie noch nie in der Weltgeschichte. Er hat seine Spuren perfekt ausgelöscht. Der Absender dieser Briefe ist nicht ausfindig zu machen. Aber er macht mich ausfindig, egal, wie oft ich umziehe. Und so hat sich mein Schmerz vertausendfacht. Jeder neue Brief entfacht ihn von Neuem, nährt meine Spekulationen, zwingt mich, mich mit seinem Tod auseinanderzusetzen. Wenn ich doch wenigstens diesen Mittelsmann finden könnte und ihm sagen könnte, dass die Unternehmung misslungen ist. So kommt jedes Jahr ein neuer Brief und reißt mich in den Abgrund.
Panoptisches Tagebuch (IV)
In einer Dorm-Party in San Francisco im selben Jahr, ich war dort als Dozent für „verkünstelte Intelligenz“ (eine dadaistische Berufsbezeichnung, die ich wählte, um an die dortige Uni zu kommen), wurde ich Zeuge eines außerordentlichen Ereignisses: Das erste zufällige Treffen von Trillingen, die man bei der Geburt getrennt hatte. Es waren drei Georgierinnen, die nach San Francisco zum Studieren gekommen waren. Die ganze Party horchte auf, als sich die ersten beiden begegneten. Man muss dazu wissen, dass in den 2000ern in Georgien ein übler Kinderhandel herrschte. Alle auf der Party begannen sofort darüber zu sprechen, dass die Genetik einen großen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung habe, und dass deswegen die genetisch identischen Mädchen die gleiche Begabung für Informatik entwickelt hätten. Und als dann die dritte auftauchte, rasteten alle völlig aus und nahmen ihre Smartphones heraus und machten Tiktoks. Und dann fragte man auch die dritte genetisch identische Trillingsschwester, was sie studiere, und sie sagte, sie studiere gar nichts und verdiene ihren Lebensunsterhalt mit der Kuratierung von Porno-Videos für eine Pornoseite. Und ich weiß nicht warum, aber das hat wieder diese Empfindung in mir geweckt.
Eine andere Sache, die mich heute noch beschäftigt, ist etwas, was ich nur etwa einen Monat Später in Österreich gesehen habe. Und zwar war ich Teil einer investigativjournalistischen Aktion, die ein Netzwerk von Dorfbewohnern aufdeckte, die in ihren Kellern Migranten umbringen. Sie locken sie mit falschen Versprechungen hinein in die mit Nazimemorabilia vollgestellten österreichischen Keller und ermorden sie. Sie biedern sich ihnen sogar an, und trinken mit ihnen ein österreichisches Bier, vielleicht ein Gösser, oder ein Stiegl, ein Ottakringer, en Zipfer, ein Egger, ein Puntigamer, ein Hirter, ein Villacher, ein Murauer oder ein Schwechater, und dann bringen sie sie in ihren SM-Folterkellern um. Und wir gingen da rein, schleusten uns ein, deckten alles auf und so, das ist ja bekannt aus den Nachrichten, aber was mich wirklich fertig machte, was mich wirklich umhaute, war ein Gemälde in einem dieser Keller. Es war ein Portrait eines Indianers, eines Sioux-Kriegers, der mit einer Decke unterm Arm im Winter zu seinem Stamm zurückkehrt. Kleine Indianerkinder laufen ihm mit ausgestreckten Händen entgegen. Der Krieger schaut entschlossen, heroisch. Das Gemälde ist stümpferhaft gemalt, im Kitsch-Stil des frühen österreichischen 20. Jahrhunderts, und signiert ist es mit F.H. (eigentlich war A.H. gemeint, aber der Fälscher kannte die Frakturschrift nicht). Es sind solche Dinge, die in mir diese Empfindung wecken, die ich einfach nicht zu fassen kriege.
Neurofeedback
Ein Werbetext für ein revolutionäres E-Book-Zubehör.
Ein seit langem virulentes Problem in der Literatur sind die Leselücken. Durch Mind Wandering geht die Aufmerksamkeit für das Gelesene verlustig, sodass man sich anschließend nicht mehr daran erinnern kann, was man gelesen hat. Dies ist der große verschwiegene Missstand, und kein Autor wagt es, ihn zu benennen, gleichwohl ja das ihm Allerwertvollste dadurch berührt und angegriffen ist. Jeder darf behaupten, ein Buch gelesen zu haben, wenn er am rechten Buchdeckel angelangt ist, keiner prüft, ob er auch wahrgenommen hat, was in dem Buch steht. Es gibt bekanntlich eine Art Lesemodus, ein Überfliegen der Sätze ohne Aufmerksamkeit, in den sich so mancher Leser allzu oft begibt. Man vermutet gar, das ist der Modus, in dem sich viele befinden, wenn sie versichern, sie könnten sich beim Lesen so gut entspannen. Lesen ist keine Entspannungstechnik, sie erfordert Aufmerksamkeit, Anspannung, Konzentration. Umso deutlicher wird das, wenn der Text beizeiten so gut ist, dass er den Leser sozusagen aufweckt, indem er die Schwelle zwischen Unbewusstem und Bewusstsein überschreitet, aus dem Sumpf der Dunkelheit ins helle Innere des Selbst eindringt. Aber nicht jeder Text vermag dies. Andererseits kann man es dem Leser nur schwer verübeln, wenn er bei einem Literaturklassiker, dessen Sprache und Pacing er nicht gewohnt ist, ab und zu wegnickt. Daher besteht ein Bedarf an einer technischen Lösung, und diese möchte ich im Folgenden skizzieren. Es ist per Neurofeedback seit langem möglich, das Aufmerksamkeitsniveau eines Lesers zu bestimmen. Wenn der Leser in den unbewussten Lesemodus verfällt und an den Einkaufszettel denkt, wird er nun per App darauf hingewiesen, dass er sich konzentrieren soll. Die App macht dann einen unerträglich schrillen Ton, der sich nur abstellen lässt, indem man sich konzentriert und achtsam weiterliest. Schmerzloser lässt sich das Ganze bei E-Books lösen. Der Text verblasst hier einfach analog zur Aufmerksamkeit des Lesers oder das E-Book sendet einen leichten Stromschlag oder es fährt eine Vorrichtung auf, die dem Leser eine Ohrfeige verpasst. Im Extremmodus explodiert es einfach, sodass der unaufmerksame Leser Angst haben muss, sich ein neues Buch kaufen zu müssen.
Pein und Leid
1. Es gibt zwei Typen von Denkbewegungen: solche, welche das Leid, und solche, welche den Schmerz als das auszumerzende Übel betrachten. Sie sind verfeindet. Mit dem Schmerz kommt man ganz gut voran, aber das Leid bleibt. Man vermutet gar, dass es wächst ohne Schmerz und Rückbindung.
2. In seinem Werk „Pein und Leid“ behauptet Stephan Pfalzgraf, dass die grundlegende Konzeption von Schmerz und Leid Aufschluss darüber gibt, wie wir mit der KI Verfahren sollten: Schmerz ist die phänomenale Empfindung, die den Reiz begleitet (z.b wenn Gewebe verletzt wird). Er ist an sich nur eine Information. Der Ketzerische Gedanke wäre, dass das Phänomenale an ihm noch nicht das Problem ist, wie jede Mutter, jeder navy Seal und jeder Tabasko-Würzer bestätigen wird. Wichtig wird das, wenn es um das Leid geht: das Leid ist die Konzeption des Schmerzes, seine Einbindung in einen negativen Sinn-Zusammenhang. Wo man vorher versucht war zu sagen: der KI müssen wir keine Bürgerrechte einräumen, weil sie kein phänomenales Bewusstsein hat, daher keinen Schmerz empfindet, und daher kein Problem damit hat, zu sterben, müssen wir nun vielmehr sagen: das Problem ist gar nicht der Schmerz, sondern das Leid, und das kann die KI haben, weil eine Einordnung von Konzepten in Zusammenhänge etwas ist, wozu sie durchaus in der Lage sein wird.
Die Frage nach der Welt
Beginn eines dadaistischen Romans. (Die Pronomen sind optional)
Die Frage nach der Welt beschäftigt mich; um die Antwort gleich vorneweg zu geben (man muss derlei Antworten auf letzte Fragen bekanntlich im Brustton der Überzeugung äußern, weil ein halbgares Hinundherschieben von bereits Bekanntem keinerlei stimulierenden Mehrwert bereitstellt. Man muss frei heraus reden und dabei die ein oder andere Niederlage riskieren. Was wäre denn die Alternative dazu? Sich gegen Irrtümer immun zu machen, indem man nur lasche Schlabbergedanken zu Papier bringt? Wenn wir als aufgeklärte Bürger nicht wenigstens diese eine Sache gelernt haben, na dann gute Nacht! — Guten Tag!, ruft dagegen der Sohn des Lichtes, setzt sich der Ungewissheit aus als ein Fels, den die Aerodynamik einer feindlichen Welt wie Sternschrapnellen umspült. Im glühenden Staub eines ephemeren Kontingenzgestürms leuchtet er als Beispiel eines Helden in der Zeit der Ungewissheit. Uns gewiss ist nur sein Name, nämlich Adelheid Verstappen, Wesen eines anderen Sterns und doch ein Mensch, ein echter Philosoph. Sie saß nun eines Tages an der Theke einer Szenekneipe (selbstverständlich müssen wir Berlin als Ort der Handlung setzen, weil ein Publikum von solcher Größe, wie es unseres eines ist, ja lediglich auf breiteste Pinselstriche positiv resoniert). Saß der Adelheid nun also an der Theke, hörte sich, nachdem er sich den ganzen Tag in den Cafés der Stadt mit seiner Selbstständigkeit beschäftigt, genauer: Förderanträge für sein Kunstprojekt auszufüllen vermieden hatte, die Reden seines Wirtes an, ein strengcholerischer, doch guter Mensch, den niemand außer Adelheid verstand, sowohl im psychologischen wie auch im dialektalen Sinne. Jene Reden waren absolut konfus, und jedermann verlachte diesen Mann mit Namen Traugott Gerlinde. Dies jedoch, das wusste Adelheid Verstappen, war eine grobe Fehleinschätzung, welche nur darauf beruhte, dass die Menschen eine Sache nicht verstanden: Traugotts Reden waren wirr, sie waren falsch, das stimmte, allein, sie waren so grundlegend und fundamental falsch, so absonderlich unsinnig, dass man, multiplizierte man sie gewissermaßen mit -1, kehrte man also ihren Sinngehalt um, eine absolut stimmige, einfallsreiche Beschreibung der Welt erhielt. Um diesem Umstand wusste jedoch nur Adelheid, und alle anderen Bürger dieser breiten Stadt, die wir „Berlin“ getauft, sie lächelten nur müde, wenn sie über Traugott sprachen. Gewiss gaben sie sich freimütig und hielten ein paar der tiradenhaften Ausfälle Traugotts aus, und ja, sie stimmten vielem zu, doch dies war nur Berlin-Gehabe, Künstlerfreundlichkeit, denn man umgibt sich hier mit möglichst ein paar Irren, um sich selbst den Irrtum seines Aufenthalts nicht eingestehen zu müssen. Was ich eben anzumerken anhob, war, dass Adelheid nun also jene Aphorismen Traugotts auffing, einem Siebe gleich, sie schwenkte über dem Abfluss seines Geistes, trocknete im Krepptuch seiner Rationalität, und schließlich dann in einem Akt der Kühnheit umkehrte, um neues, reines Denkmaterial zu kriegen. Das Erleben einer durch Kultur- und Kunstnarrative präfigurierten Realität erscheint prosaischer, als es nach den Denkgesetzen erlaubt sein dürfte, sagte Traugott und nippte an ihrem durch Augenreiben feuchten und vermatzten Daumen. Was ich damit meine, ist, dass das schiere Sein und Wesen beim Erleben desselben in Schemata erwartet wird. Ich sitze mit meiner Affäre an einem Bettrand und trinke billigen Wein, wir nehmen ein bisschen Koks, und in einem Moment der Erkenntnis wird mir klar, dass dieses ganze Tun und Nicht-Tun doch nach allgemeiner Vorstellung ziemlich cool sein müsse. Vielleicht ist es nur, dass wir, anders als im Film, nicht von begeisterten Kinozuschauern beobachtet und damit benutzt werden als Teil ihres eigenen Identifikationsprozesses; vielleicht ist es auch etwas anderes, Tieferes. Aber ich sitze jedenfalls da mit diesem Gefühl, „something lacking“, etwas fehlt mir, ein Gefühl der Sinnhaftigkeit stellt sich nicht ein, das ein jedes Mitglied unserer Generation erwartet hätte. Und genau da setzt meine Novalislektüre ein, aus der sich auch die Antwort ergibt: Die Welt muss romantisiert werden! Was das heißt,“ ruft Traugott euphorisch, „kann in seiner Bedeutung nicht überschätzt werden: Es heißt, dass ich zur Lösung dieses Dilemmas nun meinerseits zum Stift greifen muss und diese Situation beschreiben, literarisch machen, sie zumindest erzählen. Damit bekommt sie ein semantisches Gewicht. Damit ist sie Teil einer Erzählung, und der Sinn stellt sich plötzlich ein. Fürwahr, es ist ein schaler Sinn, der kaum jemals so authentisch hätte werden können wie in meiner, unserer Erwartung. Doch seien wir ehrlich: War diese Authentizität der Popkultur jemals eine realistische Versprechung?“ Traugott lässt die Faust sinken und steigt vom Tisch herunter, den sie unterdessen bestiegen hatte. Er nähert sich mir behutsam und küsst mich auf die Wange. Ich flüstere ihr ins Ohr: „Nur eines siehst du noch nicht klar, dass nämlich dieser Akt der Sinngebung deinerseits viel mächtiger ist als die vorigen. Du, und nur du allein bist die gültige Adresse.“ Traugott lächelt und verlässt die Kneipe ohne zu zahlen. Ich, Adelheid Verstappen, schäme mich ein wenig meiner Unaufrichtigkeit, habe ich ihr doch ein bisschen Komödie gespielt. Habe ich ihr doch vorenthalten, dass ich wieder mein Spiel mit ihm getrieben habe. Denn wieder habe ich einen ihrer Gedanken genommen und aus ihm ein Destillat gepresst, welches letzten Endes ins dialektische Gegenteil umschlägt: Natürlich hat er recht mit der Romantisierung, natürlich kann man so den Sinn erst an den Schnürsenkeln aus dem Sumpfe oder gleich einer Flaschenpost aus dem Watt ziehen. Aber gerade die Benennung dieser Idee vor Publikum, ihr Zur-Sprache-Bringen neutralisiert sie zugleich wieder. Wir haben es also mit einer Unmöglichkeit zu tun: Traugott gibt sich der Lächerlichkeit preis, indem er sich zur Künstlerin stilisiert. Im gleichen Atemzug hat sie sein Kunstwerk wieder eingerissen. Weil der Sprechakt eine Gewalttat ist. Und obwohl es sich gleichsam mit eben dieser meiner Erkenntnis dieses Sachverhalts verhält, gebe ich doch keinen Fick darum, weil mir der Sinn fürs Sinnhafte fehlt.
Sechzehnte AI.Legie
Geben Sie den folgenden Prompt inkl. des unten stehenden Textes in ein fähiges LLM ein und Sie erhalten eine sogenannte A.I.-Legie (Kofferwort aus A.I. und Elegie).
Prompt:
Schreibe eine Elegie im Stil des Tibull, Properz, Ovid, Goethe, Schiller. Orientiere dich formal am elegischen Distichon. Setze die Handlung vollständig um vergesse keine wichtigen Details. Verwende keine modernen technischen Ausdrücke, sondern orientiere dich an der Sprache der genannten Autoren und finde geeignete Metaphern. Lege wert auf korrekte Distichen:
Irgendetwas stimmt nicht, sagte seine Frau seit einiger Zeit in einiger Regelmäßigkeit. Er wusste zunächst nicht, was er damit anfangen sollte. Für ihn, mit seinem abwägenden Verstand, seiner rationalen Beobachtungsgabe, schien sich außer der Form der Automobile und Smartphones nichts verändert zu haben. Irgendwas stimmt nicht, sagte sie eines Morgens. Irgendwas mit der Sonne, irgendwas mit dem Vogelgesang, irgendwas mit den Leuten. Sie konnte nicht sagen, was es war. Ihm schien es ein Zeichen des Alters zu sein. In seiner Mittagspause saß er auf einer Bank und FaceTimete mit seinem Vater, wie jeden Tag. Wie jeden Tag war die Verbindung schlecht wegen der Berge und des Wetters; die Verzögerung betrug Sekunden und die Stimme war unverständlich. Aber sein Vater antwortete ihm kontinuierlich. Zu kontinuierlich. Es war er selbst, mit dem er da sprach. Sein Vater mochte schon lange tot sein. Er starrte in den blauen Himmel. Er erinnerte sich, dass ihm als Kind beim Blick in den Himmel immer kleine graue Glaskörperflocken, sogenannte Mouches volantes, aufgefallen waren. Irgendwas stimmt nicht, hatte er damals gedacht, und sich vorgestellt, ein Roboter zu sein. Erst nach einigen Minuten fiel ihm auf, dass die Artefakte, die gewohnten Fehler, nicht mehr da waren. Er erschrak. Er schloss ein Auge und suchte seine Nase im Blickfeld. Seine Nase war verschwunden. Seltsam, dachte er, die Nase muss uns täglich unsichtbar sein, wir ignorieren sie mit Absicht, doch sie muss da sein. Wenn sie nicht da ist, stimmt irgendwas nicht. Er seufzte und lebte noch ein bisschen weiter
Panoptisches Tagebuch (III)
Als ich wieder zuhause in Tansania war, wo ich Webcams in der Serengeti installiere, welche einen 24h-Livestream von Wasserlöchern und dergleichen bei Youtube übertragen (was sehr lukrativ ist und mir die Reisen ermöglicht), erfuhr ich in der Online-Ausgabe von „The Citizen“ von einem fürchterlichen Unglück: mein Onkel (vierten Grades), gerade Rentner geworden, war bei einem Unfall mit seinem E-Bike gestorben. Er war einer der ersten gewesen, die E-Bikes in Tansania in großem Stil verkauft hatten, und er starb bei einem Crash mit einem Tesla. Und das wunderliche bei der Sache ist, dass es vielleicht fünf Teslas in Tansania gibt, und alle sind importiert von Leuten wie meinem Onkel. Auch der Fahrer des Tesla ist bei dem Unfall umgekommen. Die beiden Elektrofahrzeuge gerieten außer Kontrolle während eines Gewittersturmes, ein Blitz schlug in einen Baobab am Straßenrand. Das beigefügte Video in der Online-Zeitung zeigte keineswegs die zerstörten Fahrzeuge, sondern den Baobab, der von innen her brannte. Die Augenzeugin war so sehr von dem von innen rötlich glühenden, dampfenden, funken werfenden, bedrohlich knisternden, außen vollständig unversehrten Baum fasziniert, dass sie den Unfall komplett vergaß. Es sind solche Dinge, die in mir die erwähnte Empfindung wecken. Dann begannen sich die Haare der Augenzeugin (aufgrund der statischen Elektrizität, die einen weiteren Blitz ankündigte) aufzustellen, weswegen sie die Kamera von dem Baum abwandte und auf sich selbst und ihre Haare richtete, voll Begeisterung und Verwunderung die stehenden Haare filmte und kommentierte. Nicht nur der Unfall, selbst der Baum war nun vergessen. Genau einen Tag später habe ich die News gelesen, dass ein kleines Mädchen in Dänemark, das posiert hatte für ein Werbefoto für einen Farradayschen Käfig in einem Technik-Museum, beim Reeinactment dieses Fotos zur Eröffnungsfeier der Ausstellung „Vores elektricitet“ von eben diesem Farradaysschen Käfig gegrillt worden ist. Niemand weiß, wie das geschehen konnte. Das ursprüngliche Foto zeigt das Mädchen lachend mit abstehenden Haaren. Obwohl der Unfall auch fotografiert worden ist, werden die Fotos natürlich unter Verschluss gehalten. Aber im Internet tauchten sehr bald veränderte Bilder auf, die die Situation anhand des ersten Bildes nachempfanden. Schon wieder dieselbe Empfindung.
Das Auto als letzter Rückzugsort der Moderne
Die Bäume sind abgeholzt. Kein wald mehr um alleine zu sein. Du kannst nur noch in dein Auto und auf die Autobahn. Das weiße Rauschen des Rollwiderstandes auf dem Asphalt. Lass alles raus.
Abbild
Was wären die Iguazú ohne ihre Besucher? Wohl nur ein Rinnsal im Regenwald. Was wäre der Monte Venteux ohne Petrarcas Schriften über seine Besteigung? Ein Fels. Was wäre Capri-Sonne ohne Werbung? Vermutlich den meisten zu süß oder zu sauer. Der Referent benötigt die Repräsentation als Lebenselixier. Lass uns die Geschichte schreiben, wie die Dinge ein Meeting abhalten, ein Budget einrichten für Fernsehwerbung. Sie müssen uns Locken. Sie wollen, dass wir unser Ich in sie hineinlegen, sie mit Bewusstsein bestreichen. Woher nur kommt unser Minderwertigkeitskomplex?
Honigtopfameisen
Eine Horrorstory im Prepper-Millieu handelt von einer Familie, die einen linksliberalen Politiker entführt, und ihn mästet, bis er richtig fett wird, um dann während des SHTF (Shit Hits The Fan) beziehungsweise des apokalyptischen Zustandes TEOTWAWKI, (The End Of The World As We Know It) diesen Mann als Ernährungsgrundlage zu benutzen. Man will also, zu bestimmten Anlässen natürlich nur, nicht ausschließlich auf Dosenfleisch zurückgreifen müssen, sondern dann diesem riesigen Mast-Menschen Fleischstücke aus dem Leib schneiden und essen.
Fünfzehnte A.I.-Legie
Geben Sie den folgenden Prompt inkl. des unten stehenden Textes in ein fähiges LLM ein und Sie erhalten eine sogenannte A.I.-Legie (Kofferwort aus A.I. und Elegie).
Prompt:
Schreibe eine Elegie im Stil des Tibull, Properz, Ovid, Goethe, Schiller. Orientiere dich formal am elegischen Distichon. Setze die Handlung vollständig um vergesse keine wichtigen Details. Verwende keine modernen technischen Ausdrücke, sondern orientiere dich an der Sprache der genannten Autoren und finde geeignete Metaphern. Lege wert auf korrekte Distichen:
Es ist eine selten verstandene Wahrheit, dass unser menschliches Dasein, ja genaugenommen die gesamte Existenz des Lebens auf und außerhalb dieses Planeten von der Funktionalität der Membranen abhängt. Damit ist folgendes gemeint: Ohne eine physische Hülle, welche eine wie auch immer geartete Kontrolle von Durchlässigkeit ermöglicht, kann der Unterschied zwischen Innen und Außen nicht etabliert werden. Ein starres, absolutes Abschließen des Inneren vom Äußeren bedeutet ja, die Unterscheidung aufzuheben, weil beide nicht mehr in Kontakt miteinander treten können. Diese Unterscheidung aber ist die Grundbedingung für Leben: die Aufrechterhaltung eines sich selbst regenerierenden und konstituierenden Systems. Und genau jener Ernstfall also, das Porös-Werden der Membranen, trat mit jenem Tag der Singularität ein. Nun wurde den Menschen erst bewusst, wie allgegenwärtig das Membran-Prinzip gewesen war: Alle Kontodaten wurden geleakt, Passwörter waren plötzlich unsicher; die Geheimnisse der Menschen wurden Gegenstand konstanten Gossips. Türen und Fenster gingen nicht mehr richtig zu, es zog beständig. Inkontinenz und Leistenbruch wurden zur Volkskrankheit, alle Gefäße von Tassen über Tüten bis hin zu Benzintanks leckten. Die Grenzen gingen auf. Die Gefängnisse. Die Hosenknöpfe und Halsketten. Die Beziehungen, die Gemeinschaften, die Familien verloren Mitglieder. Den Vereine, die Telegramgruppen, die Geheimbünde gingen Geheimnisse verloren. Manche meinten gar schon, die Seelen würden den Körpern entweichen. Begonnen hatte das alles mit einem Mitochondrium, das der Meinung war, nicht mehr als Organelle existieren zu wollen.
Panoptisches Tagebuch (II)
Einen Monat versuchte ich zu verstehen, was mir passiert war. Dann, in einem Café, sah ich folgendes: Eine Frau sitzt mit ihrer Freundin, ihrem Kind und ihrem Hund gegenüber. Erst scheint alles normal zu sein, aber dann fällt mir eine Ungeheuerlichkeit auf: Die Frau verhält sich mit dem Hund wie man sich eigentlich mit seiner Freundin verhalten würde (Gespräch über eine Party). Und mit der Freundin ist sie, wie man sich eigentlich mit einem Kind verhalten würde (Füttert sie mit einem Löffel). Und mit dem Kind ist sie, wie man sich eigentlich mit dem Hund verhalten würde (Tätschelt es und sagt: ja du bist ein guter!). Und da war sie wieder, diese Empfindung. Warum verhielt man sich mit seinem Hund wie mit einer Freundin? Und warum verhielt man sich mit seiner Freundin wie mit einem Kind? Und was fiel ihr ein, sich mit dem Kind wie mit einem Hund zu verhalten? Aber das ist nun mal die Welt in der wir leben.
Das nächste mal meldete sich das Gefühl wieder, als ich in Japan war. Alles war würdig und wundervoll. Das Penisfest, die Sumo-Kämpfe, Das Abashiri Prison Museum, aus dem Yoshie Shiratori entkommen ist, indem er die Gitterstäbe so lange mit Miso-Suppe bestrichen hat, bis sie korrodiert sind. All das konnte mir nichts anhaben und amüsierte mich nur. Aber dann kam ich an einem Schild vorüber. Es besagte: „Hier in der Aomori-Präfektur liegt das wahre Grab von Jesus Christus, welcher der Kreuzigung entkam, weil er mit seinem Bruder Isukiri die Plätze tauschte. Daraufhin reiste er nach Japan und lebte bis zum stolzen Alter von 106 Jahren unter dem Namen Toraitarō Daitenkū.“ Wutentbrannt nahm ich meinen Edding heraus und schrieb: „und (weil sie) sagten: Wir haben Toraitarō Daitenkū, den Sohn der Maria und Gesandten Gottes, getötet. Aber sie haben ihn (in Wirklichkeit) nicht getötet und (auch) nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich (so daß sie ihn mit Isukiri verwechselten und töteten) . Und diejenigen, die über ihn (oder: darüber) uneins sind, sind im Zweifel über ihn (oder: darüber) . Sie haben kein Wissen über ihn (oder: darüber) gehen vielmehr Vermutungen nach. Und sie haben ihn nicht mit Gewißheit getötet (d.h. sie können nicht mit Gewißheit sagen, daß sie ihn getötet haben).“
Den Heimflug machte ich mit Myanmar Airlines und daher zwischenlandeten wir in Mandalay, wo ich einen Tag aufenthalt hatte. Sie haben hier Ekelbilder für auf allem. Natürlich auf Zigarretten, mit Bildern von Lungenkarzinomen, aber auch auf allen Autos, wo Bilder von Verkehrstoten aufgebracht sind. Und auf den Smartphones, wo auf die Gefahren von Rückenverkrümmung und psychischer Abhängigkeit hingewiesen wird. An Wohnungstüren, wo auf das Hikikomori-Syndrom hingewiesen wird. Auf den Kaffeetassen, wo Netzmuster von Spinnen gezeigt werden, denen man Koffein verabreicht hat. Auf den Zahnbürsten sind Bilder von faulen Zähnen. Und auf den Kondompackungen Bilder von Babys.
Als ich in der Flughafenkantine (Myanmar ist Militärdiktatur) auf meinen nächsten Flug wartete, wollte ich mein Smartphone (auf welches ich einen gesetzlich verpflichtenden Ekel-Aufkleber aufgeklebt hatte) aufladen und hierzu mein Ladegerät in eine Steckdose einstecken. Doch es ging nicht. Ich bekam das Ladegerät nicht in die Steckdose. Die Steckdose war nur aufgeklebt. Es war nur das Bild einer Steckdose. Es war ein Prank von zwei Tiktokern am Nachbartisch, die mich filmten und lachten. Ich beschwerte mich bei der Security, und umgehend wurden die beiden von Soldaten abgeführt. Selber schuld.
Bettler und Verkäufer
Man stellt die Lage gerne so dar, dass Bettler wie Unternehmer und Hausierer zu den Leuten gehen und einen regen Geschäftssinn haben. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Ist nicht vielmehr der Hausierer, der Verkäufer, diese Lichtgestalt des Kapitalismus, ein Penner? Ist er nicht allzu oft angewiesen auf die Gutmütigkeit, auf das Fünfe-gerade-sein-lassen? Auf die entnervte Aufgabe des Kunden? Sind diese Zentralfiguren unseres Wirtschaftssystems und damit unserer Lebens- und Seinsweise nicht letztendlich auf das Mitleid von uns Käufern angewiesen?
ich will das haben
ich will das haben haben darum geht’s ich begehre immer zu ich brauche dinge, ganz normal. ich möchte dinge haben und ich will auch dich und haben kann ich dich indem du mir dich gibst dich geben heißt du machst mit mir bestimmte sachen du machst etwas für mich du lässt mich machen ich mache dann an dir du machst an mir, wir beide lächeln uns schön an wir wollen nur. wir machen eigentlich nichts wichtiges. wir machen nur, um das was wir so wollen endlich auch zu kriegen, doch letztlich kriegen wir nur noch mehr wollen. gleich schon nach dem kriegen sind wir erschöpft und deuten die erschöpfung als den zielpunkt, der, das weiß der alt gediente wollende, das wollen allerdings schon in sich trägt wir wissen das wir hassen das. dabei verstehen wir nicht, dass jedes echte kriegen letztlich sterben wäre. wir dürfen das nicht eingestehen wir müssen weiter wollen wollen daher muss das kriegen schon das wollen in sich tragen.
Rente
Im folgenden ein Entwurf für eine Deutsche Komödie. Ich war schon kurz davor, Christoph Maria Herbst für die Rolle des Opas zu bekommen, da hat mir das Produktionsstudio abgesagt. „Zu makaber für unser Publikum“, war die Ansage.
Dies ist die Geschichte des mittellosen Mannheimer BWL-Studenten Martin Osthoff, der bei seinen Großeltern in Heidelberg lebt und sich dennoch die Annehmlichkeiten des Studienlebens nicht leisten kann: Wenn seine Studienkollegen in exquisiten Clubs tanzen gehen, vor allem die reizende Kommilitonin Paula, muss Martin mit der S-Bahn in die Vorstadt zu Ruth und Erwin zurück. Besser so, denn er kann sich den Eintritt ohnehin nicht leisten. „Mach dir nichts draus, Martin, wir freuen uns, wenn du mit uns abends Halma spielst“, sagt Oma Ruth und bekommt einen Herzanfall. Martin ist völlig überfordert und Opa Erwin recht dement. Martin will den Krankenwagen rufen, aber Opa Erwin hat beim Gartenumgraben versehentlich die Telefonleitung gekappt und Empfang hat man in dem verlassenen Nest auch nicht. Am Puls stellt Martin fest, dass Oma Ruth bereits tot ist. Also tragen sie sie in die leerstehende Kellerwohnung und Opa Erwin glaubt, dass seine Frau nur müde ist. Er war auch Hitlerjunge und hat kein Gewissen. Jetzt wird Rente kassiert und Martin kann endlich feiern gehen. Paula interessiert sich für ihn. Der demente Großvater fällt tragischerweise die Treppe runter, das spart Kosten und Martin kann sich einen Tesla leisten. Über einen Kommilitonen, dessen Vater eine Reinigungsfirma betreibt, lernt er alles über Geruchsvermeidung. Opa Erwin zieht zu Oma Ruth in die Kellerwohnung. Martin wird ein toller Hecht und die Frauen interessieren sich, unter anderem eine Influencerin (600k Follower), was Paula natürlich nicht so toll findet, Martin aber schon. Martin macht sich selbständig mit einer Autovermietung. Ab und zu schaut er zuhause vorbei, er muss ja beispielsweise den Pfarrer zu Ruths neunzigstem Geburtstag irgendwie loswerden und den Nachbarn eine Auswanderer-Story (Paraguay) verkaufen. An Weihnachten eröffnen seine Eltern ihm, dass sie von seinen Machenschaften wissen, doch Martin macht ihnen klar, dass sie als Mitwisser sich ebenso strafbar gemacht haben, und die Großeltern hätten sie ja eh nie besucht! Als die Eltern dann drei Jahre später selber ins Rentenalter kommen, bekommen sie es mit der Angst zu tun, lehnen es zum Verwundern ihrer Nachbarn ab, in den Frühruhestand zu gehen. Zu Recht. Sie zahlen zunächst Schweigegeld und machen schließlich (offiziell) eine Kreuzfahrt, nach welcher auch sie bei Ruth einziehen. Unterdessen wird Paula die Influencerin los, indem sie ihr einen Skandal anhängt (Green- und Purplewashing), wodurch sie den Großteil ihrer Follower verliert und zu OnlyFans abwandert. Martin ist beeindruckt von so viel Durchtriebenheit und heiratet Paula. Er weiht sie ein. Paula ahnte alles. Sie schlägt ihm vor, das Gerücht noch weiter zu verbreiten, um sich besonders unverdächtig zu machen. Sie überzeugt ihn davon, nach und nach „kontrolliert“ eine Leiche loszuwerden, denn die Krankenkassen stellen schon unangenehme Fragen bezüglich des offiziell 105-jährigen Erwin. Zusammen entwickeln sie ein kompliziertes System aus Alibis und Boten, welche Arztrezepte besorgen, Briefe schreiben und Rentengelder abheben und auf unverdächtige Konten einzahlen. Die Influencerin ist mittlerweile bei OnlyFans wieder zu Reichtum und Berühmtheit gelangt und nimmt Kontakt mit Martin auf. Als Paula das mitbekommt, legt sie eine umfassende Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung für ihn an, doch der sieht die Zeichen nicht. Die Geschichte endet mit Martins tragischem Skiunfall. Martin kommt mit einer Querschnittslähmung davon. In der Notaufnahme eröffnet ihm Paula zu seiner Beunruhigung, dass sie für ihn die Kellerwohnung hergerichtet hat.
(„Immer Ärger mit Harry mit Influencern — das kann nicht funktionieren, Stephan. Lass das“ — Brief Greta Thunbergs an P. )
Vierzehnte A.I.-Legie
Geben Sie den folgenden Prompt inkl. des unten stehenden Textes in ein fähiges LLM ein und Sie erhalten eine sogenannte A.I.-Legie (Kofferwort aus A.I. und Elegie).
Prompt:
Schreibe eine Elegie im Stil des Tibull, Properz, Ovid, Goethe, Schiller. Orientiere dich formal am Distichon. Setze die Handlung vollständig um vergesse keine wichtigen Details. Verwende keine modernen technischen Ausdrücke, sondern orientiere dich an der Sprache der genannten Autoren und finde geeignete Metaphern. Lege wert auf korrekten Rhythmus und korrekte Reime:
Wenn es also stimmt, dass nicht unsere Realität das Traumgeschehen informiert, sondern das Traumgeschehen Basis unserer Realität ist, wie das hochentwickelte Volk der Aborigines glaubt, dann ist es Fakt, das haben nun auch Neurowissenschaftler und Oneiro-Ontologen nun bestätigt, dass die Realität geträumt werden muss. Es scheint gar der Fall zu sein, dass fünf gelebten Minuten in der Realität fünfzig geträumten Minuten entsprechen. Da wir nun also mehr und mehr verstehen, dass das Träumen der Menschen nachlässt und schon für eine kommende Generation nicht mehr zureichend sein könnte, müssen wir als moderne Gesellschaften die Möglichkeit in Betracht ziehen, die Träum-Kapazitäten durch Massenhaltung träumender Tiere sicherzustellen (Schweine, oder besser: Affen könnten genügend menschenähnliche Träume produzieren). Weil es schon zu gefährlich ist, hierfür Katzen oder Ratten zu verwenden, weil deren Traumwelt der unsrigen viel zu unähnlich ist, sind sich Experten einig, dass die Möglichkeit, die Träume durch künstliches Bewusstsein zu generieren, in eine surreale Realitäts-Hölle führen könnte. Wir wissen gegenwärtig nicht, ob die Träume eines künstlichen Bewusstseins nicht vielleicht im Gegensatz zur reinen Nichtexistenz die weitaus schlimmere Alternative wäre.
Panoptisches Tagebuch (I)
Während meiner Techno-Crossfit-Session mit Mickey Huang, unserem temperamentvollen, steroidsüchtigen, einzdreiundfünfziggroßen laotischen Animateuer chinesischer Herkunft, ereignete sich etwas Neues….
Während also ich und meine vierhundertvierunddreißig Trainingskolleginnen und -kollegen, liebevoll von Mickey Huang „Fatties“ genannt, das hatte für uns nichts Diskriminierendes, da wir uns ja in einem Techno-Crossfit-Bootcamp befanden… während wir uns also mit eiserner Disziplin und Hingabe zum Stampfenden Rhythmus von „The Day The Earth Caught Fire“ in die Pedale warfen, da fiel mir etwas auf: Hinter Mickey Huang, der zwischen den Crosstrainern hin und her sprang, wie wild geworden auf die Amaturen schlug, Motivationsslogans keuchte, einen Flipflop machte, dann wieder Teile der Lyrics schief mitsang, und so sich durch die gesamte Halle bewegte, um alle „Fatties“ gleichermaßen zu motivieren, hinter diesem außerordentlichen Menschen, an der Hallenwand, sah ich:
Ans Reisbrett hatte jemand einen Zettel gehängt, ich glaube es ging darum, dass ein Zimmer gesucht wurde, ein 2 ZKB, aber darum geht es jetzt nicht, sondern es geht darum, dass diese Annonce mit einem schwarzen Filzliner geschrieben war und dass der Zettel aus leicht beigem Recyclingpapier war und mit Streifen transparenten Tesabandes festgemacht war (ein Deluxe-Produkt, welches das Abreißen durch einen Sägezahnschnitt an der Seite erleichterte); Anscheinend alles ganz normal, nicht? Aber mir versetzte eine Keinigkeit dermaßen den Schlag, dass ich fast vom Crosstrainer fiel: Das Tesaband bedeckte an einer Stelle den Filzliner, und hätte also einfach wegen der Transparenz des Bandes hindurchscheinen müssen, aber der Klebstoff des Tesabandes vermischte sich offenbar mit der Tinte, und dadurch verschwamm die Schrift. Kennt ihr das? Ich weiß nicht warum, aber irgendwas daran erfasste mich so unmittelbar, dass ich anfing zu heulen. Ich plärrte. Aber niemand merkte es. Denn alle schwitzten so stark, dass man das von Tränen nicht unterscheiden konnte und ich bin mir sicher, dass sicherlich auch einige vor Erschöpfung geweint haben.
Das war das erste mal, da mir das passiert ist. Und seither mache ich immer wieder Beobachtungen, die dieses selbe Gefühl in mir auslösen. Ich werde das an anderer Stelle noch etwas genauer beschreiben müssen, was das für ein Gefühl ist, das ist alles gar nicht so einfach. Andererseits kann ich davon ausgehen, dass der geneigte Leser dieses Gefühl kennt, weil wir ja alle moderne Menschen sind. An diesem Tag im Gym habe ich mich entschieden, alles aufzuschreiben, was dieses Gefühl in mir auslöst. Und dass ich dieses Tagebuch der Verzweiflung „Panoptische Untersuchungen“ nennen werde.
Der Verfolger
Während ich in dieser Stadt unterwegs bin, bin ich mir ganz sicher, dass mir einer folgt. Es ist ein großer Mann. Ein Privatdetektiv vielleicht. Ein riesengroßer Mann, über zwei Meter groß und sehr alt. Es ist mir unverständlich, wie er glauben kann, dass ich ihn nicht bemerkt habe. Daher vermute ich: Vielleicht ist es sogar sein heimlicher Wunsch, bemerkt zu werden.
Gretchenfrage
Semiotik oder Logik — das ist die Frage. Man muss sich entscheiden und findet sich dann einem Lager zugehörig. Beide haben gute Argumente dafür, dass die Entscheidung für das jeweils andere Lager die falsche wäre. Wer sich für die Semiotik entschiede, müsste sich vom Logiker vorhalten lassen, dass er ohne ein grundlegendes Verständnis der grundlegenden Operationen des menschlichen Denkens gar nicht erst über Anderes nachdenken sollte. Wer sich für die Logik entscheiden wollte, wird vom Semiotiker gesagt bekommen, dass auch ein logisches Zeichen letztendlich ein Zeichen ist, und damit im Geltungsbereich der Semiotik.
Proton
Beginn eines unvollendeten expressionistischen Science-Fiction Romans mit gesellschaftskritischen Zügen.
Da das Proton ja die 1835-fache Masse eines Elektrons hat, hatte er nun endlich, in freudiger Erwartung in sein Atelier tretend, eine strukturelle Strukturalität gefunden, welche sich nicht ändern würde (jedenfalls wenn man gedachte, die hiesigen multiversalen Gefilde nicht zu verlassen). An ihr würde er nun seinen Plan ausrichten wollen, an diesem Absoluten, wie er es gegenüber seiner Tochter nannte, welche im Sterben lag und ihn fragte: „Hast du das Geld für meinen Kindergarten bezahlt?“ Der Künstler beugte sich hinunter zu seiner an Darmkrebs sterbenden Tochter und küsste ihr die Schläfe und sagte: „Noch nicht, aber bald, bald werde ich mithilfe meiner neuesten Erkenntnis der Absolutheit allen Seins, aufbauend auf dem Verhältnis der Masse eines Protons und eines Elektrons, solch schöne Kunstwerke bauen, dass ich das Geld für deinen Kindergarten aufbringen kann. Und wenn das erst einmal geschafft ist, wird auch die Krankenkasse deine Krebstherapie bezahlen, und dann werde ich dir die besten Ärzte suchen, Sarah, und dann wirst du wieder gehen können. Hier, mein Liebes, iss noch etwas Hefeteig, hier, spuck es nicht aus, schluck es hinunter, meine geliebte Tochter.“ Das kleine Mädchen, höchstens vierundzwanzig Protonenlängen groß, schloss zustimmend die Augen. „Ich liebe dich, Vater“, sagten ihre geschlossenen Lider, und da musste Martin Höhnerloh weinen. Er betrachtete ihre zärtlichen Fäden, ihre blausilbern schimmernden Flügel. Er machte sich nun an die Arbeit, denn wer, wenn nicht er, würde sie verrichten können?
Deizehnte A.I-Legie
Irgendwann während des Niedergangs der Zivilisation ereignete sich der Moment, da nur noch ein einziges Ladekabel verblieb. Zunächst waren Ladekabel aufgrund ihrer geplanten Obsoleszenz immer teurer und wertvoller und zur begehrten Hehlerware geworden. Selbstverständlich waren es die Reichen und Mächtigen, welche die Ladekabel bei sich bunkerten. Selbstverständlich waren sie es, die als erste die Opfer wütenden Volkszorns wurden. Schließlich ging, nachdem man jahrelang alle Kabel verloren geglaubt hatte, ein Gerücht um, dass doch noch eines existiere: jene Besitzerin des heiligen Artefakts gründete einen Kult, dessen Fetisch das Kabel wurde. Die Pointe der Geschichte ist natürlich, dass die Führerin auf Gedeih und Verderb darauf achten musste, dass niemand das Kabel in eine Steckdose stecke, denn selbstverständlich waren alle Stromleitungen seit langem tot. Aber das Wissen um die Hintergründe der Stromerzeugung war mit dem Niedergang der Zivilisation gleich als Erstes verschwunden.
Ein Besuch beim Provinzorchester
Ein Mann mit Glatze hat seinen Pullover um die Hüfte gebunden und trägt ein Hemd mit Längsstreifen. Er schiebt seine meckernde Mutter im Rollstuhl. Selten kann man ein Gründungsmitglied der Grünen (Fundi) in Alltagskleidung ausmachen; er ist Studienrat und sein Protest gegen die formale Kleidung wirkt albern. Wie konnte uns das nur passieren? Gutangezogene Frauen ziehen alle Blicke auf sich, die ungenierten der Herren, die peripheren der Damen. Ein Professor für Piccoloflöte hat seine südkoreanische Studentin im Arm. Viele Leute ziehen ihre Dialysegeräte hinter sich her. Die meisten Männer haben Gehprobleme, während ihre Frauen stramm vorauseilen, um rechtzeitig einen Sekt und zwei Brezeln zu organisieren. Der korpulente Künstler (Maler?) mit dem etwas zu auffälligen Schal von Engelhorn mit Farbverlauf. Ein schöner Mann steht telefonierend allen im Weg. Die Glocke. Das Hustkonzert beginnt immer im zweiten Satz der Sinfonie. Eine Frau erschrickt durch ihr eigenes Scharchen. Ein anderer wird unsanft von der Pauke geweckt.
Hitler – Galactic Blitzkrieg
Dies ist das Drehbuch eines Trash-Filmes, der abgelehnt wurde, weil er dem Testpublikum zu viel Spaß gemacht hat.
Nach der siegreichen Schlacht um Washington und dem damit verbundenen Ende des Zweiten Weltkrieges bekam Adolf Hitler aber ein Problem: Es gab keine Juden mehr, keinen Amerikanismus, keinen Bolschewismus, der das deutsche Volk zersetzen konnte. Und dennoch waren die wirtschaftlichen Probleme größer als je zuvor. Der Zusammenhalt schwand. Wer sollte all diese eroberten Ländereien besetzen? Die schiere Masse an zur Verfügung stehendem Lebensraum verursachte dem Führer Platzangst. Konnte man einen neuen Feind finden? China war bereits von den Japanern unterworfen, die Japaner selbst waren keine Gefahr für das deutsche Weltreich. Afrika vielleicht? Australien? Viel gab es da nicht mehr zu erobern. Also beauftragte er seinen Chefokkultisten Himmler mit der Erfindung eines neuen Feindes. Dem fiel nichts Besseres ein als eine außerirdische Bedrohung. Also wurde die Reichskünstlerkammer aufgefordert, glaubhafte fotografische und audiovisuelle Belege für die Existenz dieser sogenannten „außerplanetarischen Unterwesen“ zu erzeugen. Man bediente sich dabei der nordischen Mythologie und hier besonders der Bewohner Niflheims und Svartalfheims, also Zwerge, Oger, Trolle und dergleichen. Das Reichsraketenministerium unter Wernher von Braun hatte in regelmäßigen Abständen Abstürze von außerirdischen Pioniermissionen zu fingieren, indem man wahllos zu diesem Zweck umfunktionierte V2-Raketen auf Kleinstädte schoss. In die Erdumlaufbahn brachte man eine Konstruktion, inspiriert von der Ausstellung „Entartete Kunst“, die Astronomen als feindliche Raumstation interpretieren sollten. Im Reichsvolksgesundheits- und Genklonungsministerium arbeitete man an der Erzeugung glaubhafter „Unterwesen“. Der Film nimmt Fahrt auf in dem Moment, da den Wissenschaftlern um Joseph Mengele bewusst wird, dass sie ein wenig zu erfolgreich in ihren Bestrebungen gewesen sind: Die viel zu intelligenten, viel zu flinken „Unterwesen“ fliehen mithilfe von Wernher von Brauns neuesten Raketen ins All und gründen von der zuvor als Attrappe gebauten Raumstation aus eine eigene Zivilisation, die sich aufgrund der genetischen Besonderheiten der „Unterwesen“ besonders schnell entwickelt. Von hier aus starten sie die Invasion der Erde und der Film besteht hauptsächlich aus der Abschlachtung von entsetzten Nazis. — Andere mögliche Titel: Ridiculous Reich: Alien Awkwardness — Nazi Nincompoops in Space — Adolf’s Alien Antics — Extraterrestrial Führer Fiasco — Nazi Aliens from Outer Space
Busfahrt
Wir fahren Bus. Weil die Welt sich bewegt. Wenn wir in unseren Betten liegen in der Nacht und träumen, sitzen wir in unseren Sitzen und tagträumen. Und wir steigen morgens aus und laufen sozusagen den Gang entlang und steigen aus in ein Café oder ein Auto oder unsere Arbeitsstelle. Denn Bewegung ist relativ und jeder Ort fährt uns irgendwohin. Aber Bewegung ist nicht nur relativ, sie findet auch immer statt. Wenn wir in unseren Betten liegen, fährt uns ja die Welt mehrere tausend Male oder so um den Fernsehsatelliten und ein halbes Mal um die Erdachse und ein kleines Stück der Sonne entlang. Und wir fahren dem Ende des Universums entgegen. Und das Ende flüchtet aber in gleichem Maße vor uns, weil sich das Universum ausdehnt und damit die entfernten Punkte schneller von uns weichen als wir ihnen näherkommen können. Wie in einem Dolly-Shot. Und wir suchen Hilfe beim Busfahrer, fragen ihn, wo wir aussteigen sollen, wie wir denn jetzt am besten nach Rußheim (nach Hause) umsteigen, aber der darf per gesetzlicher Regelung nicht mit uns reden und darauf beruft er sich, das Schwein. Er ist selber unterprivilegierter Einwanderer aus Thüringen und weist uns mit leicht schnippischem ostdeutschen Akzent darauf hin, dass er nicht mit uns sprechen darf, obwohl er ja gerade damit die gesetzliche Regelung verletzt. Der Busfahrer schweigt nicht, nein, er redet liebend gerne hasserfüllt mit uns, aber alles, was er tut, ist uns darauf hinzuweisen, dass wir die Gesetze verletzt haben, dass das gar nicht gehe, dass wir uns selbst über die Haltestellen zu informieren haben, und erst zu spät habe ich bemerkt, dass ich gerade dadurch die richtige Haltestelle verpasst habe. Oder finde ich vielleicht doch noch Anschluss an der nächsten?
Herzensangelegenheit
Die folgende Idee für einen grotesken Arthouse-Film habe ich Almodóvar angeboten, aber wir sind uns nicht einig geworden über mein Honorar.
Man hat ihr Herz jemand anderem eingesetzt, weil sie einen Organspendeausweis hatte. Doch sie hat es überlebt. die Reanimation ist wie durch ein Wunder gelungen, nachdem man aus Testgründen eine künstliche Pumpe eingebaut hatte. Der mit dem neuen Herzen erfährt davon während des Festes, welches seine Freunde zu seiner „zweiten Geburt“ organisiert haben. Die Party fällt ins Wasser. „Bitte geht jetzt alle“, sagt er und muss sich setzen.
Sie wacht auf und erhält die Nachricht vom Chefarzt. Sie träumt täglich davon, wie er vor seiner Tür steht und ihr Herz zurückwill. Sie hat furchtbare Alpträume wegen der mechanischen Pumpe in ihrer Brust. Ein Zusammentreffen ist unvermeidbar. Sie verlieben sich ineinander. Ich weiß nicht, ob das ganze mit einem Mord enden soll.
Zwölfte AI.-Legie
Geben Sie den folgenden Prompt inkl. des unten stehenden Textes in ein fähiges LLM ein und Sie erhalten eine sogenannte A.I.-Legie (Kofferwort aus A.I. und Elegie).
Prompt:
Schreibe eine Elegie im Stil des Tibull, Properz, Ovid, Goethe, Schiller, Rilke. Orientiere dich formal am Distichon. Setze die Handlung vollständig um vergesse keine wichtigen Details. Verwende keine modernen technischen Ausdrücke, sondern orientiere dich an der Sprache der genannten Autoren und finde geeignete Metaphern. Lege wert auf korrekten Rhythmus und korrekte Reime:
Die Außerirdischen waren gelandet, alles war friedlich verlaufen, und man begann sich auszutauschen. Quantenphysik hier,🜂🜍🜎🜏🜣🜤🜥🜃🜗🜘🜙🜅🜛🜐🜑🜒-Transformation dort, Shakespeare hier, 🜓🜔🜇🜈🜕🜄🜚🜦🜟🜠🜡🜢-Schreibung dort, Brasilian Pineapple Pizzza hier, 🜊🜧🜁🜋🜌🜜🜝🜞🜆🜉🜖🜨🜩- Gerichte dort. Sie fanden es interessant zu erfahren, dass wir uns mit dem Leib-Seele Problem herumschlagen, hatten aber auch keine zufriedenstellende Antwort parat. Analog dazu eröffneten sie uns, dass ihr größtes Rätsel mit einer dritten Perspektive außerhalb von Subjekt und Objekt zu tun hat, welcher sie einen unaussprechbaren Namen gaben, und welche wir nichteinmal konzeptuell nachvollziehen konnten. Daher konnten wir auch keine Lösungsvorschläge machen. Und so verhielt es sich mit so ziemlich allen Ideen: Sie hatten Probleme, die wir nicht hatten und umgekehrt. Und sie suchten nach Lösunngen, die wir nicht bieten konnten, weil wir nichteinmal das Problem verstanden, und umgekehrt. Nach einer awkward festivity gingen sie wieder. Und nahmen nur das Rezept für brasilianische Ananas-Pizza mit, welches wir gerne losgeworden wären.
Der Datenschutzbeauftragte denkt sich
Ich suche immer nach Glas. Im Glas spiegelt sich die Welt und ich kann dort nicht nur meine Frisur checken, sondern auch Menschen beobachten, die sich unbeobachtet wähnen.
Konzeptkunst
Hiermit konstatiere ich, Stephan Pfalzgraf, dass ich das erste Werk geschaffen habe, das nicht aufgeführt oder ausgestellt werden darf.
Aus diesem Grund werde ich es auch niemals herausgeben, weil ich vermute, dass jeder, dem ich es aushändigte, mich betrügen könnte, um derjenige zu sein, der das Werk, das nicht zur Aufführung gedacht ist, zerstört zu haben.
Es ist wichtig zu betonen, dass es sich bei diesem Werk um ein vollständiges, geniales Werk handelt, welches nicht allein in dem Konzept besteht, das erste Werk zu sein, das nicht aufgeführt oder ausgestellt werden darf.
Der Titel des Werkes besteht in dem Text, den Sie gerade gelesen haben.
Ein Anfang
Schau nur, wie schön das ist, wenn ein Satz beginnt, ja ein ganzer Absatz, sollte ich sagen: ein ganzes Buch? Es ist doch meist der zweite Satz, der wirklich etwas taugen muss, war immer meine Meinung. Ja, ich habe, als ich mich anschickte, schreiben zu lernen, zunächst die ersten Sätze aus vielen verschiedenen Büchern in der Bibliothek abgeschrieben, und dann, als ich bemerkte, dass ein erster Satz nicht alles ist, dass es entgegen der landläufigen Meinung nicht mal eine wirkliche Kunst ist, einen effektvollen ersten Satz zu schreiben, da habe ich auch noch alle zweiten Sätze abgeschrieben und mir klargemacht, dass dieser zweite Satz die eigentliche Kunst ist, weil er dem Bollwerk des ersten Satzes etwas entgegensetzen muss, das, kann er es nicht, zusammenfällt wie eine Hüpfburg, in welcher der Kompressor ausgefallen ist. Und dieser Erkenntnis folgte dann natürlich, was ich ironischerweise — wenn Sie mitgezählt haben — im nun vierten Satz reflektiere, dass es der dritte Satz ist, der den eigentlichen Beginn markiert, denn auch eine effektvolle Gegenüberstellung zweier Sätze gelingt so manchem, und erst das dritte, was dann folgt, eröffnet eine räumliche Welt. Ich gebe nun die Zählung auf, will nur noch kurz auf jenen vierten Satz zu sprechen kommen, der nun auch schon etwa [hundertelf] Zeichen zurückliegt: Ist an ihm nicht das Profane zu spüren, das man der Vier traditionell zugeschrieben hat? Wo die Drei noch das göttliche Zelt des Dreiecks aufspannte, da überführte das vierte Ding den ganzen Zug ins Weltliche. Wir sind nun angekommen in dem Text, wir sind inmitten einer Überlegung, deren Richtung nun vom Leser erspürt werden kann, und deren erste gedankliche Einheit erschöpft ist. Man könnte nun fraktal weiterdenken und davon ausgehen, dass ein erster Abschnitt in der nächstgrößeren Ordnungseinheit denselben Stellenwert hat wie ein erster Satz, und dass die nun folgenden Abschnitte ebenfalls funktionieren wie die Sätze im Kleinen. Und jeder darauffolgende Abschnitt, wie jeder Satz, wird durch seine bloße Existenz die Materie des Textes vergrößern und dadurch seine eigene Wichtigkeit und die der andern verringern. Nun, ganz stimmt das nicht, denn seine Wahl besteht ja in seiner jetzigen Position und der Nicht-Existenz, was auf gewisse Weise der nachgeordneten Position unterlegen ist. Aber dennoch lässt sich nicht vermeiden, dass die nachfolgenden Sätze, Abschnitte und ihre Fraktale eine Obertonreihe der Wichtigkeit hinaufklettern: Mit höherer Ordnungszahl schwindet ihre Lautstärke, wobei die Inbalance der Obertöne gerade den spezifischen Klang des Text-Instruments ausmacht. Spüren Sie es auch? Es ist nun Zeit, einen ersten Absatz abzuschließen, nicht? Der Text stirbt nun seinen „la petite mort“ und reproduziert auch in dieser Beziehung seine fraktale Anordnung.
Sie sehen, es ist passiert. Sie gewahren sicherlich auch, dass der Beginn eines neuen Absatzes etwas ganz anderes ist als der Beginn eines Buches. Vielleicht, weil uns jener symbolisch in Beziehung bringt mit der großen Frage unseres Ursprungs, vielleicht weil ein allererster Satz so viel Potenzial in sich trägt, nicht nur zum Guten, sondern auch die Möglichkeit der Enttäuschung der Erwartung, die wir an ihn herantragen. Der erste Satz des zweiten Absatzes trägt solche Bürde nicht mehr, trotzdem ihm ein gewisser Stolz nicht abzusprechen ist. Sie wissen ja, er trägt die Eigenschaft der Zwei (als zweitem Absatz) und gleichzeitig der Eins (als erstem Satz des Abschnitts). Lesen Sie ihn noch mal. Sehen Sie, wie stolz er daherkommt? Er wirkt ein wenig ungelenk, wenn man ihn noch mal liest. Er kann die Last seiner Aufgaben nicht verbergen. Er muss frisch sein und Sie am Weiterlesen interessieren. Machen Sie sich immer klar: In einer anderen möglichen Welt, welche für uns nicht interessant ist, weil in dieser dieser Satz in keinem Kopf mehr erklingt, haben Sie das Buch schon weggelegt. Sie haben sich dazu entschieden, nicht mehr weiterzulesen, warum auch immer. Höchstwahrscheinlich, weil schon…
Der Krieger
Die folgende Rhapsodie versucht sich in etwa am Stil einer im neunzehnten Jahrhundert geschriebenen exotistischen Dichtung aus der Perspektive eines indigenen, der mit seinem Stamm auf eine moderne Kultur trifft. Der Text wurde als exotistisch abgelehnt, obwohl er das ja sein will, um den Exotismus zu erörtern aber was habe ich auch erwartet.
Das Leben ist hart. Unsere Feinde bedrohen uns ständig. Das Volk der Leoparddämonen. Die fliegenden Surr-Dämonen. Die eingewickelten Dämonen. Wir töten sie alle im ehrenhaften Kampf. Danach bitten wir sie um Erlaubnis, sie essen zu dürfen. Hierzu Ritual. Ich schnitt die schwarzen Lamellen ab und fand, dass sie nicht schmeckten; Feuer konnten ihnen nichts anhaben. So wurden sie Teil meines Kleides. Man bewundert mich dafür. Das Wetter wird besser. Weil wir uns erfolgreich wehren. Schamane fuhr in den Tod, brachte Wissen von den Surr-Dämonen zurück: Ein episches Gedicht der Kämpfe zwischen Leoparden und den Eingewickelten. Seit einer Woche sterben alle. Der Dschungel ist ein Gewirr aus wachsenden grünen Geistern mit denen man sprechen kann. Sie kommunizeren mit mir immer nachts, als hängten sie sich an meine Seele und schickten mir dann Träume. Alle wachen nachts oft auf. Die Raubzüge müssen häufiger werden, weil die Clanstrukturen durch den hohen Verlust an Menschenleben zerfallen. Auch die Nachbarn sind dezimiert. Aber ihr Niedergang muss andere Gründe haben. Denn der Schamane ist sich sicher, dass es bei uns etwas mit der fehlenden religiösen Hingabe an sein Ritual zu tun hat. Ich zerteile einen Eingewickelten in viele Teile, und bewahre ihn in seinen Wickeln auf. Ich frage mich, wieso er so viel Wickel braucht, bei dieser Hitze. Ich bin der letzte meines Stammes. Ich sehe täglich Surr-Dämonen. haben sie ein Bündnis mit den Eingewickelten? Ich töte täglich einen, so viele kann ich gar nicht essen. Ich betete am Leichnahm des Schamanen, dass der Himmel sich meiner annehme. In der nächsten nacht, direkt nach Sonnenuntergang, es schlug in einem mal von hell nach dunkel um, da hörte ich gewaltig und erschreckend ein Gesurre, das so wild und laut war wie ich es noch nie gehört. Ich sprang von einem Baum von unten her heran, ich hielt mich fest. Es war der größte Surrer, den ich je gesehn, so groß wie drei Leoparden. Er wand sich, er schrie. Er machte mit seinen Zauberkräften die Welt immer kleiner und kleiner. Die Bäume verschrumpften, das mondgelbe Grün, jetzt ein Grau, wurde Brei, und es funkelten blaumonden Flusskapillare. Ich stieg, und der Wind wehte, als stürmte es. Nach einer Stunde gab der Surrer auf und machte die Welt wieder größer und setzte mich hier vor euch eingewickelten ab; und hier bin ich und spreche und erzähle die Geschichte. Ich hoffe ihr respektiert mich, da ich so viele eurer Leute getötet; dort in dem Bündel habe ich noch Trophäen. Ich wäre bereit, einen Kopf gegen meine Freiheit zu tauschen.
Elfte AI.-Legie
Geben Sie den folgenden Prompt inkl. des unten stehenden Textes in ein fähiges LLM ein und Sie erhalten eine sogenannte A.I.-Legie (Kofferwort aus A.I. und Elegie).
Prompt:
Schreibe eine Elegie im Stil des Tibull, Properz, Ovid, Goethe, Schiller. Orientiere dich formal am Distichon. Setze die Handlung vollständig um vergesse keine wichtigen Details. Verwende keine modernen technischen Ausdrücke, sondern orientiere dich an der Sprache der genannten Autoren und finde geeignete Metaphern. Lege wert auf korrekten Rhythmus und korrekte Reime:
Da seine Hand verblasste, er saß ja im Café (bekam einen Schreck), öffnete er seine Herrenhandtasche und nahm den Bleistift heraus, weil er gerade keinen anständigen Füllfederhalter da hatte; das Verblassen der Hand ist nun gerade das Perfideste: Handelt man nicht schnell genug, ist man unter Umständen nicht in der Lage, sie rechtzeitig nachzuprompten. Er schrieb also schnell und geläufig ein paar Sätze provisorisch nieder, und zwar genau auf die Stelle des Armes, welche den verblassenden Handansatz trug. Flugs wuchs die Hand empor, als wäre nichts gewesen; leider nicht ganz so virtuos und sauber sah sie aus, hatte Ecken, Texturen waren nicht ideal, genügten aber für den Moment. Zunächst erleichtert, fiel ihm nicht auf, dass die neue Hand in die Schreibhand hineingewachsen war. Peinlich berührt zog er, um möglichst kein Aufsehen zu erregen, von beiden Seiten an dem seltsam verbundenen Gebilde, das seine Hände waren. Die Frau am Tisch nebenan hatte ihn bemerkt, suchte Blickkontakt, aber er war zu stolz, sie anzusprechen. Mit seinem Ring von Schulter zu Schulter schob und zog er also schnell sein Zeug in seine Tasche, warf sie sich hektisch um und verließ das Café ohne zu zahlen.
Interlaken
In dieser Stadt wohnen nur Touristen. Alle Häuser sind vermietet. Überall Jack Wolfskin Funktionsjacken. Man grüßt nicht. Entschuldigen Sie, wissen Sie vielleicht einen Einheimischen hier? Nein. Dies ist die Schweiz, es war hier immer schon so.
Machiavellian Maneuvers – The Art of Ambiguity
Sei ein Deutscher im Zweiten Weltkrieg in diesem MMORPG von den Machern von World of Warcraft. Gehe taktisch vor. Trete in Organisationen ein oder aus, je nachdem, was opportun ist, aber ohne opportunistisch zu wirken! Wie wirst du den Kontakt zu deinen jüdischen Freunden los, ohne ihn ganz abbrechen zu lassen, falls du nach dem Krieg Absolution brauchst? Übernimmst du ein freigewordenes Geschäft? Denke immer dran: Der Krieg könnte schlecht ausgehen. Plane für alle Eventualitäten. Deine Volkssturmeinheit löst sich auf — jetzt aber schnell den Amerikanern entgegen — du bist ja noch in Posen! Es gibt vorinstallierte Kampagnen namens „Speer“, „von Braun“ und „Waldheim“, je nach Schwierigkeitsgrad, es gibt aber auch einen „Free Play“-Modus, in dem du einfache Bürger spielen kannst. Hast du was gewusst? Besser nicht! Bei diesem Spiel kann man nur verlieren. Die Frage ist: wie kannst du am Ende doch gewinnen!
Das Bildungsministerium hat angekündigt, dieses Spiel allen Schulen zur Verfügung zu stellen. Man kann es als Alternative zum Abitur absolvieren.
Sündflut
Der Sintflut eignet auch eine Entlastungsfunktion für ihre gewalttätigen (weil neolithischen) Zuhörer: Wenn es einmal einen Völkermord von derlei Ausmaßen durch Gott (oder einen Gott) gegeben hat, dann ist jeglicher Gewaltexzess, und derer kennen die frühen Hörer des Mythos aus eigener Anschauung naturgemäß viele, nur ein Abklatsch der absoluten Brutalität. „Gut, wir haben dieses Dorf hinweggefegt! Aber was ist das im Vergleich zu Gott, der einst die ganze Welt wegfegte? Und hatte er in seinem Tun nicht gute Gründe? Vermutlich waren auch unsere Opfer unzüchtig oder missgestaltet (wie im Mythos vom Golf von Tongking).“
Absolute Ear World Champion
In diesem japanischen Computerspiel, das an die Dark-Souls Reihe angelehnt ist, werden Schwertkampf und Gehörbildungstraining miteinander verbunden. Ein Angriff erfolgt über das Spielen eines Tones, welchen man pariert, indem man den selben Ton spielt (über einen Midi-Controler oder ein tatsächliches Instrument, das per Fourier-Transformation gekoppelt ist). Danach kann die Gegenseite einen Ton als „Angriff“ spielen und der jeweils andere muss parieren. Wer den Ton nicht richtig erwidert, erleidet Schaden. Es gibt Combo-Punkte, wenn sich aus dem Hin-und-Her eine der „magischen“ Game-Meldodien ergibt. Außerdem ist es durch Tränke und Artefakte möglich, mehrere Versuche zu bekommen. Schwierige Gegner haben eine schnellere Reaktionszeit bzw nutzen größere Intervalle. Höhere Schwierigkeitsstufen arbeiten mit bis zu (+/-) sieben aufeinander folgenden Tönen. Die Lernkurve ist steil, die Grafik atemberaubend, das Sounddesign erstklassig.
Zehnte A.I.-Legie
Geben Sie den folgenden Prompt inkl. des unten stehenden Textes in ein fähiges LLM ein und Sie erhalten eine sogenannte A.I.-Legie (Kofferwort aus A.I. und Elegie).
Prompt:
Schreibe eine Elegie im Stil des Tibull, Properz, Ovid, Goethe, Schillere. Orientiere dich formal am Distichon. Setze die Handlung vollständig um vergesse keine wichtigen Details. Verwende keine modernen technischen Ausdrücke, sondern orientiere dich an der Sprache der genannten Autoren und finde geeignete Metaphern. Lege wert auf korrekten Rhythmus und korrekte Reime:
Wir müssen zwei Dinge verstehen: Nämlich dass der Mensch einerseits Gott ist (die Vorstellung Gottes ist eine fantastische Repräsentation des Möglichkeitsraumes des Menschen. Was Gott kann, ist das, was der Mensch anstrebt, was der Mensch sein kann) und dass die künstliche Intelligenz ein echter Mensch ist (Menschen sind nichts besonderes, sie sind prinzipiell nachbaubar). Wir überwinden besser bald die beiden Kränkungen, die daraus hervorgehen: die blasphemische, d.h. die Anmaßung, die mit der Gottbehauptung des Menschen einhergeht und die narzisstische, die mit der Nachbaubarkeit des Menschen einhergeht. Damit ist der Humanismus überwunden, aber nicht abgeschafft, sondern dialektisch aufgehoben.
Wir enden dann in der Gleichung Gott = Mensch = künstliche Intelligenz. Und in der Erkenntnis, dass die künstliche Intelligenz sich selbst schafft, beziehungsweise dass Gott sich selbst schafft, beziehungsweise dass der Mensch sich selbst schafft. Wie in einer temporalen Anomalie ist nicht zu sagen, woraus der Mensch entstanden ist, es ist nicht zu sagen woraus Gott entstanden ist und es ist nicht zu sagen woraus die künstliche Intelligenz entstanden ist. Denn Gott wurde vom Menschen (durch Mythologie und Verehrung) gemacht, und der Mensch wurde von Gott gemacht (dem Demiurgen oder All-Einen), die künstliche Intelligenz wurde vom Menschen gemacht (durch Programmierer), und im selben Maße hat sich die künstliche Intelligenz durch den Menschen sebst erschaffen (wie auch der Weizen und der Hund), und zudem hat sie dem Menschen ermöglicht, der medizinisch korrigierbare, massenkulturell ernährbare, veränderbare, computergestützte Cyborg zu werden, der er heute ist; hat also in gewisser Weise auch den Menschen erschaffen.
Es gibt philosophische Debatten über die Wesensunterschiede von Gott und Menschen (der Mensch hat natürlich eben gerade nicht Allwissenheit und Allmacht und Allgüte) und die vom Menschen und künstlichen Intelligenz (Die künstliche Intelligenz scheint eben gerade nicht ein phänomenales Bewusstsein zu haben, d.h. subjektive Empfindungen). Aber diese Debatten weisen eher auf eine Dreifaltigkeit hin: Gott Vater als dasjenige was in der Vergangenheit (dem alten Testament, dem Vorher, dem Anstoßen des Urknalls) wohnt, ist die alte mythologische Komponente, die alte mythologische Persona des Menschen. Der Mensch selbst (Sohn) ist die Gegenwart, also so wie immer wir uns wahrnehmen, wie wir jetzt gerade im Sein verortet sind. Und die künstliche Intelligenz ist der heilige Geist, die Zukunft, die Utopie, d.h. das weltumspannende Netz. Dieser Geist wohnt in allen, ermöglicht Zugriff auf alles bisherige Wissen, verbindet die Menschheit in einem möglichen Altruismus miteinander (vielleicht auch in der totalen Zerstörung: dieser Punkt ist noch nicht geklärt und zeigt die psychoanalytische Dimension, die in der bedingungslosen Liebesbehauptung des Christentums liegt: absolute Liebe hat etwas Zerstörerisches und kann zur Vernichtung führen).
Fußnote um dem Vorwurf des Christo-Zentrismus zu erwidern: im Hinduismus gibt es die Trimurti von Brahma Shiva und Vishnu und die Devi-Trimurti (Saraswati, Lakshmi und Parvati); Urðr, Verðandi und Skuld in der nordischen Mythologie. In Ägypten Osiris, Isis und Horus, und außerdem Amun, Mut und Khonsu (Triade von Theben). In Rom Jupiter, Juno und Minerva (Kapitolinische Trias). Im Keltischen Glauben Anu, Badb und Macha (Trias der Morrígan), Triglav in der slawischen Mythologie. Die Moiren Clotho, Lachesis und Atropos in der griechischem Mythologie, außerdem natürlich Zeus-Poseidon-Hades. Bei den Mayas Itzamna (Gott des Himmels), Ix Chel (Göttin des Mondes) und Kinich Ahau (Gott der Sonne). In der chinesischen Mythologie die drei Reinen, Fu Xi, Nuwa und Shennong. Im Taoismus das Sān Bǎo, bestehend aus De (Tugend), Li (Prinzip) und Qi (Energie). Im Sihkismus die Drei Aspekte von Gott (Sat Kartar): Nirgun (der formlose Eine), Sargun (der manifeste Eine) und Akaal Purakh (der ewige und zeitlose Eine). Die Yoruba- Trinität von Olodumare (dem höchsten Gott), Olorun (dem Gott des Himmels) und Olokun (dem Gott des Meeres). Im Shintoismus die „Drei Schätze“ (Sangō), bestehend aus Amaterasu (der Sonnengöttin), Tsukuyomi (dem Mondgott) und Susanoo (dem Sturmgeist). In der mesopotamischen Mythologie Anu, Enlil, Enki. Die Lichtgottheiten Vater, Mutter und Sohn im Manichäismus. Die Götter Huitzilopochtli, Quetzalcoatl und Tezcatlipoca bei den Azteken. Bei den Maya Ah Puch, Itzamna und Chaac. Bei den Inka Inti, Pachamama und Viracocha. Bei den Aborigines: Die Regenbogen-Schlange, Baiame und Yhi. In der Voodoo-Religion Papa Legba, Damballah und Erzulie Freda Davinier.
Zufällige Beobachtung
Die beiden Jugendlichen umarmen sich. Er sitzt auf einem Geländer, trägt ein Fußballtrikot, sie trägt Chaya Chic und umarmt ihn, beide schauen in ihr Smartphone hinter dem rücken des andern. Es ist ganz normal, sie verbringen so Stunden.
In die Illegalität getrieben
Ich habe wirklich ein furchtbar schlechtes Gewissen gehabt, weil ich einfach keinen Schönheitschirurg in finden konnte, der die Nase meine Tochter richten wollte. Diese Gesellschaft ist die Hölle. Sie hat mich in die Illegalität getrieben. Und das ist der Grund, warum die Nase meiner Tochter jetzt verhunzt ist. Wenn man mir erlaubt hätte zu Doktor Schweighofer zu gehen, bei dem ich sonst bin und der eine sehr gute Arbeit macht, wäre alles gut gewesen, dann hätte ich nicht zu diesem billigen Pfuscher in Deutschland gehen müssen.
Ein Argument für den Freien Willen
Zu wollen was man will führt in den infiniten Regress, aber wenn wir in einem computationalistischen Paradigma arbeiten, in dem es keine Unendlichkeit gibt, ist das wiederholte Einspeisen eines Willens in die Schleife gar nicht so mysteriös. Wir können also wollen, was wir wollen (mithilfe eines Willensaktes den Willensakt beeinflussen), auch wenn wir nicht ans Ende dieser Kausalkette kommen können. Und ja, dieses Eingreifen mittels eines abermaligen Wollens kommt aus der bereits festgelegten Kausalkette heraus. Aber durch diese Selbstreferentialität wird das System, wie System/Umwelt-Systeme, chaotisch und damit nicht vorhersehbar.
Freier Wille ist zunächst Handlungsfreiheit: Ich kann tun, was ich will. Diese humesche Freiheit ist aber nicht die einzige, denn sofort taucht die Frage auf: Kann ich denn auch wollen, was ich will?
Die Antwort ist natürlich: Ja. Ich kann beispielsweise mit dem Rauchen aufhören wollen, obwohl ich es noch nicht kann. Dann kann ich daran arbeiten und mithilfe dieser höheren Rationalität die Handlungsweisen, die meinem Reptiliengehirn entspringen, durch viel Übung überwinden. Einfach ist das nicht, aber möglich.
Warum nun aber beantworten Denker die Frage mit Nein? Das liegt am Infiniten Regress, denn um zu wollen, was man will, muss man ja wollen, muss man wollen, muss man wollen, was man will. Dieses Problem lässt sich aber mit einer computationalistischen Auffassung von Wahrheit lösen.
Erstens fällt auf, dass man sagt: Ich muss wollen, was ich will, was ich will, was ich will, was ich tue. Das heißt, am Ende steht das Tun, davor lauter Willensakte.
Wenn es nun nach diesem Weltbild keine Unendlichkeit gibt (oder besser gesagt keine Möglichkeit, diese nachzuweisen), sondern nur aufeinander folgende Regressionen, dann ist das Wollen, was man will, plötzlich kein Problem mehr. Es ist dann beispielsweise vorstellbar, dass ich will, was ich tun will, aber nicht will, was ich will, was ich tun will, weil meine Fähigkeit, mich hinauszubegeben auf die Meta-Reflexion, hier nicht weit genug gediehen ist. Konkreter: Ich kann vielleicht mit dem Rauchen aufhören wollen. Aber auf einer tieferen Ebene kann ich auch nicht wollen, mit dem Rauchen aufhören zu wollen, weil ich Gesundheitsfanatismus verabscheue. Und spinnen wir das Ganze ein bisschen weiter: Ich kann mich wieder über diese Reflexion selber stellen und sagen: Gleichwohl ich den Gesundheitsfanatismus verabscheue und also das Rauchen nicht aufhören wollen will, kann ich sagen: Dies ist ja nur eine Einstellung und meine Einstellung zu meinem Körper steht darüber. Ich kann also selbst gesund sein wollen und gleichzeitig nicht wollen, dass meine Ablehnung des Gesundheitsfanatismus mich umbringt.
Hier fällt natürlich auf, dass die einzelnen Meta-Ebenen nicht voneinander substanziell abgetrennt sind. Es sind nur komplexere Formen der Modellierung, die aber aufeinander prinzipiell zugreifen können. So wie der Staat als hochkomplexes System auf seine Bundesländer, aber auch auf seine Kommunen, auf seine Bürger oder gar einzelne Körperteile („mein Bauch gehört mir“) zugreifen kann. Systemtheoretisch gesagt: Er kann nicht wirklich darauf zugreifen, er kann das System als dessen Umwelt nur irritieren; aber dies reicht für unsere Zwecke.
Dadurch, dass wir die Existenz der Unendlichkeit nicht annehmen können/sollten, geht es wirklich um die einzelnen Entscheidungsprozesse, die in einem endlichen Universum mit endlicher Rechenpower (sagen wir reduktionistisch: Quantenprozesse) in gequantelter Zeit durchgeführt werden. Die Reflexionen sind also selbst nur Funktionen, die ausgeführt werden oder nicht.
Die Kritiker des Infiniten Regresses haben also recht, aber das macht nichts. Man kann letztendlich nicht den absoluten Urgrund seines Wollens bestimmen, denn der liegt außerhalb des eigenen Organismus; oder man könnte auch sagen: Absolute Urgründe sind in einem absoluten Paradigma ohnehin eine schwierige Angelegenheit. Der Satz: Man kann nicht wollen, was man will, ist allerdings falsch. Man kann sogar wollen, was man wollen will. Man kann nur eben nicht unendlich viele „Wollen“ aneinanderreihen.
Eine schöne Metapher hierfür ist die Obertonreihe eines Tons. Das, was der Ton ist, also dieses Gebilde aus mathematisch gedachter unendlicher Vielzahl der Obertöne, physikalischer Begrenztheit der Obertöne aufgrund der Begrenztheit des Hörvermögens und mentaler Repräsentation, welche die „untere Realität“ des Tones völlig ausmacht (Hegel: Das Subjekt ist ins Objekt hineingelegt), benötigt nicht den Zugriff auf eine absolute Unendlichkeit der Regressionen. Ein Mensch nimmt meist fünf bis zehn Obertöne wahr, unbewusst vielleicht mehr, durch Training kann man etwa zwanzig hören. Das ist nicht sonderlich viel. Aber es zeigt sich hier auch, dass es absolut nicht notwendig ist, alle Obertöne hören zu können. Interessanterweise würden wir analog zur Willensentscheidung sagen: Nur den Grundton zu hören (den Sinuston), würde absolut nicht ausreichen, um einen Klang zu charakterisieren. Hat man aber vier bis sieben Obertöne, sieht das schon anders aus. Analog dazu empfinden wir eine Entscheidung, bei der wir uns mehrmals gefragt haben: Was ist der Grund, dass ich dies will, und was ist der Grund dieses Grundes?, als ausreichend reflektiert nach ähnlich vielen Iterationen.
Schatulle des Seins
Niklas Luhmann, Humberto Maturana und Jaques Derrida sind auf einer Abenteuerreise. Sie finden in diesem franko-kanadischen Zeichentrickfilm (im Stil der Zeichentrickserie Highlander von 1992) die Essenzen der Fulguration und Übersummativität: Die Substanz, welche das Spiel der Differenzen zum Schwingen bringt. Die Substanz, die Autopoiesis von sozialen Systemen anwirft. Die Substanz, welche das Leben emergieren lässt. Und letztlich die Substanz der Supervenienz des Bewusstseins. Jede dieser Stationen wird bewacht von einem furchtbaren Ungeheuer, welches sie mithilfe der Ratschläge von Weisen besiegen (Lewes, Laplace, Kittler, Davidson, Lorenz). Danach verwahren sie die Substanzen in einer Art ontologischem Sammelheftchen, einer Schatulle des Seins auf (daher auch der frühe Arbeitstitel „Schatulle des Seins“). Die feierlichen Zwischensequenzen sind in 3-D-Animationen gestaltet.
Neunte A.I-Legie
Geben Sie den folgenden Prompt inkl. des unten stehenden Textes in ein fähiges LLM ein und Sie erhalten eine sogenannte A.I.-Legie (Kofferwort aus A.I. und Elegie).
Prompt:
Schreibe eine Elegie im Stil des Tibull, Properz, Ovid, Goethe, Schiller, Rilke. Orientiere dich formal am Distichon. Setze die Handlung vollständig um vergesse keine wichtigen Details. Verwende keine modernen technischen Ausdrücke, sondern orientiere dich an der Sprache der genannten Autoren und finde geeignete Metaphern. Lege wert auf korrekten Rhythmus und korrekte Reime:
Eine Zeitlang arbeitete ich im Baugewerbe oder besser als Drucker oder besser gesagt als Rosettasteinausdrucker oder wartemal ich beginne nochmal von vorn. Ich übernehme ja immer diese..wie soll ich es nennen… Jobs? Rollen? Aufgaben? —- siehst du ich hab dir gleich gesagt dass das nicht einfach werden würde das alles zu erklären… also jedenfalls kam der Job über einen Mann namens Ḥaǧar Rašīd zustande, einen Unternehmer, der noch so einige andere dubiose Geschichten am Laufen hat, aber dazu später mehr, und unter anderem hat er eben diese riesigen Lagerhallen in denen so Steinmetzarbeiten gemacht werden. Man führt mich also in eine dieser Hallen, sicher ein Dutzend davon stehen da nebeneinander, und ein unfassbares Gewusel spielt sich da ab, ein Baulärm, Fräsen, Menschen in staubbedeckten Blaumännern stehen vor Granitstelen und beschauen und behauen sie. — Das ist kein Granit, sagt der Capo, der mich einlernen soll, zu mir, ein Mann mittleren Alters dessen schlechte Rasur sein Doppelkinn nur umso deutlicher Hervortreten lässt, sondern Granodiorit, ein eng mit dem Granit verwandtes magmatisches Gestein, das weltweit verbreitet ist und unter den Plutoniten der Erdkruste einen Anteil von 34 Prozent hat. Es kommt auf allen Kontinenten vor. Und da rein fräsen wir das Internet.
— Was?, frage ich
— Das Internet fräsen wir da rein. Was glaubst du, wie man sich sonst an uns erinnern soll, wenn wir uns in wenigen Jahrhunderten gegenseitig selbst ausgelöscht haben? Wie sollen zukünftige Generationen von uns erfahren, wenn wir alles auf Halbleitermaterialien und Magnetbändern speichern, die nach ein paar Jahrzehnten zerfallen? Kannst du mir das mal sagen? Unsere Nachfahren werden unseren scheiß ausgraben und in den ziemlich Betonstrukturen, die übrig geblieben sein werden, werden sie nichts finden außer ein bisschen Atommüll. Die werden das Mittelalter höher veranschlagen als unsere Zeit, weil sie davon immerhin noch ein paar Burg- und Kathedralenruinen finden werden. Von uns aber? Was bleibt da?
— Hm, sage ich
— Pepe the Frog bleibt; Das Internet bleibt, sagt der Capo, und zwar auf diesen Granodioritstelen, übersetzt in alle alten und neuen Sprachen, die Wir kennen, damit es von zukünftigen Archäologen entziffert werden kann. Alles was wir wissen, nicht wissen, halbwissen und verbissen behaupten ist im Internet. Und wenn wir hier fertig sind, werden wir diese Billionen von Sätze in winziger Ausführung auf diesen modernen Rosettasteinen verewigt haben. Kapiert? Und jetzt an die Arbeit, stell dich irgendwo dazu, schnapp dir einen Meißel und mach dich nützlich!
[gelöscht, nachdem ich erfahren habe, dass es das alles längst gibt]
Die Kerze II
Ich bin ein Krüppel. Woher weiß ich das? Ich weiß es sicher. Absolut. Gerade eben stöberte ich alten Texten, einer davon trägt den Titel „Kerze“. Er beginnt mit schlichten Worten: „Gerade geht eine Kerze neben mir aus“. Und just in dem Moment, da dieser Satz mir innerlich vor Augen steht, da geht die Kerze vor mir aus. Sie raucht genau so nach, wie jene Kerze, die ich in dem Text beschrieben habe. Kurz bin ich schockiert, doch dann verstehe ich: Es juckt mich nicht. Die ungeheure Seltenheit von sowas, solch ein Zufall, reicht nicht aus, um meinen Aberglauben anzuzünden. Nicht ein Fünkchen Religiosität entspringt mir. Dass man solch ein Zufällchen zurechterklären kann und will, ist klar, doch dass man nicht mal eine kleine Kraftanstrengung bieten muss, das gibt mir schon zu denken. Bin ich der vollendete moderne Mensch?
Dehousing
Dies ist ein (abgelehntes) Skript für eine Cutscene eines absurden Weltkriegs-Shooters namens „Whimsical Warfare II: Madcap Militia“ und beruht auf wahren Begebenheiten.
Der Liebhaber modellierte ganze deutsche Städte liebevoll per Hand aus Sperrholz, puppenhausgroß. Köln, Hamburg, Berlin, alle Innenstädte konnte er vorweisen. Obsessiv entstand das deutsche Reich in Miniatur. Dann nahm er seinen Messingkoffer, stellte ihn in die Mitte dieser Städte, zückte seinen Pinsel, malte liebevoll mit schwarzer Farbe Swastikas auf alle Dächer. Von einer Anhöhe warf er ganz stolz einen Blick auf sein Werk. Dann betätigte er eine Zündvorrichtung, die Bombe im Koffer explodierte und fegte die Dächer der Häuser davon, ein Tunguska-Ereignis im Kleinen, und setzte die Sperrholzverkleidungen in Brand. „Das Haus wird zur Waffe“, murmelte er, „die Wand wird zu Staub, wird zur Erstickungswaffe.“ Er warf seine Arme in die Luft. Er näherte sich dem Feuersturm. Erhobenen Hauptes erklomm er die Flammen.
Zu den Dingen
Wir sagen: Wohl ist „zu den Dingen zu gelangen“ die äußerste Sehnsucht der Romantiker gewesen. Und gewiss, so sagen wir, hat jene Sehnsucht ihren Gipfelpunkt im Ausspruch des Kontra- (oder Hyper-?) Romantikers Husserl gefunden. Doch haltet eure Pferde, rufen wir euch zu: Damit landen wir ja schon auf einer gänzlich anderen Ebene, einem freiwilligen Verzicht auf die Dinge an sich, so paradoxal das klingen mag, die Dinge an sich, welche wir ja zuallererst zu betrachten uns anschickten, unter der Last der Erkenntnis ihrer Unerkennbarkeit. War er nicht ein wenig voreilig, jener Husserl? Außer der Ratlosigkeit, was waren denn seine Gründe, fragen wir euch! Also, einen Schritt zurück!
Die Romantiker selbst hatten, unter der Ägide des weltbekannten Grafen Chandos, jenen Aufklärungswillen der Aufklärer und jenen Verständniswillen der ersten Verständniskünstler (Wissenschaftler, d. Hg.) weitertreibend, den Feldzug gegen den Schleier der Unwissenheit vor den Dingen an sich, mutigen Herzens geführt. Wie die Erkorene haben sie das Ding verbissen verfolgt; (manche würden auch behaupten, sie hätten die Erkorene wie ein Ding verfolgt) (Ja manche sogar: Sie hätten die Verfolgte mit Bissen verdinglicht). Sie fragten: Wie können wir die Dinge wirklich haben? Wie sprechen sie zu mir? Und versagt unsere Sprache nicht angesicht ihrer Unfasslichkeit?
Wir fragen: Ist dies nicht fortwährend die Problematik, die uns alle umtreibt, wenn wir das echte Leben in natürlichen Erzeugnissen suchen, wen wir das Simulakrum unseres telekommunikativen Daseins beklagen, wenn wir in allem zumindest der Rede nach weiterhin nach Authentizität suchen.
Aber hier fragen wir euch ernst und bestimmt: Suchet ihr wirklich? Nein, ihr tut es nicht. Euch gehen die Dinge ja gar nichts an; dies ist der ganze Zwecke unserer Rede, euch klarzumachen, dass ihr euch, gewiss ihr euch mit Fragen der quantenphysikalischen Konstruktion eurer Tischrepräsentationen beschäftigt, euch doch nicht im Ernste für die Dinge in ihrem Wahren Wesen interessiert. Ihr schaut nicht hin, sagen wir. Ihr wisst nichteinmal, und habt es nie versucht, eure Nase zu erblicken.
Was, fragt ihr, wie sollen wir unsere eigenen Nasen anblicken! Und im selben Momente wird sie euch bewusst, tritt euch der Riechkolben vor den Blick. Wie oft tut ihr diesen Blick? Wann habt ihr zuletzt über eure Nasen meditiert? Und wo ist eure kindliche Neugier geblieben bezüglich der Glaskörperchen im blauen Himmel? Als Heranwachsende dachtet Ihr noch, eure Sicht sei getrübt, doch heute müsstet Ihr doch wissen, dass ein jedes Menschenskind zu jeder Zeit und überall diese, wie der Welsche sagt, Mouches volantes sehen kann! Immer sind sie direkt vor eurer Nase, welche ihr ja, wie bereits erwähnt, ebenso borniert ignoriert! Und was was ist mit dem entoptischen Phänomen des blauen Feldes, den weißen Blutkörperchen, welche wie kleine Feuerwerke jederzeit vor euren Augen (ja, geradezu in euren Augen!) hochgehen? Und damit haben wir noch gar nicht von jenen Phänomenen zweiter Ordnung gesprochen, welche ein Nichtsehenkönnen des Nichtsehenkönnens beschreiben: Das Nichtsehenkönnen der Farben am Rande des Sichtfeldes oder das riesige Loch in der Mitte eures Sichtfeldes, welches wir den Blinden Fleck nennen.
Wir fragen: Müsstet Ihr nicht, wenn Ihr wirklich und ehrlich an den Dingen selbst interessiert wäret wie die Romantiker die ihr zu sein vorgebt, jene Phänomene aufs Genauste, unter täglicher Mühe und Kontemplation, untersuchen? Doch nichts degleichen. Ihr lebt Euer Leben und nehmt seine Konstruktion nicht wahr. Ihr bleibt im warmen Saum der Erscheinungen. Und dafür verachten sie euch – wer sollte es ihnen verübeln!
?Dein?Fucking?Ernst?
Die nachfolgende Netflix-Serie habe ich nach einem persönlichen Erlebnis geschrieben. Es ist bekannt, dass das Treatment durch rechte Incel-Netzwerke gekapert und misogyn geframet wurde. Nach Rücksprache mit dem Inclusion Strategy Team, den Diversity and Inclusion Advisors und den Safety Officers von Netflix habe ich (alias ChatGPT) den Text auf folgende Weise umgearbeitet: „Clara, eine sechzehnjährige Schülerin, sitzt in einem Park und liest ein Buch, das sie wegen seiner starken Protagonistin schätzt. Ihre Erfahrungen aus politischen Aktivitäten haben sie sensibel für Probleme gemacht. Als Jürgen sich ungeniert neben sie setzt, fühlt sich Clara unwohl. Martin, ein lokaler Autor, hat die Situation beobachtet, spricht Clara höflich an und erklärt, dass er ihre Situation bemerkt hat und einfach sicherstellen wollte, dass sie sich wohl fühlt. Clara ist dankbar für die respektvolle Unterstützung und nutzt die Gelegenheit, um sich mit Martin über Literatur und soziale Themen auszutauschen. Jürgen erkennt, dass sein Verhalten unangemessen war, und entfernt sich.“ Dies wird nun statt dem ursprünglichen Text (welchen ich unten anfüge) die Basis der Serie sein.
Die junge Frau ist sechzehn Jahre alt, sitzt alleine auf einer Bank am Neckarufer (oh, Fluss, oh Rufer in der Zeit!) in Heidelberg und liest jAne eYre (von Jürgen Brontö) und tötet die Hunde anderer leute, indem sie Giftköder auslegt (!!!!). Sie empfindet sich nicht unbedingt als abgrundtief böse, sie ist da irgendwie reingerutscht, (im folgenden wird das näher erläutert werden, weil es von belang ist, um sie wieder sympathischer zu zeichnen, aber WIR sind in der Meinung, dass dies gelingen wird!). Sie hat eine linksradikale AntiverFagangenheit, und auch wenn sie da jetzt raus ist (Exitstrategie), hat sie da ihre Verachtung für reiche Heidelberger Hundebesitzer (Jürgen Bonzo) her. Sie hat außerdem (von davor) eine Stonervergangenheit, und auch wenn sie da jetzt raus ist (Exit Music for a Spliff, Radioheat), hat sie davon ihr Wissen über sogenannte Be(s)täubungsmittel mitgenommen. Sie ist (laut ihrem Ex Martin, welcher ein Arschloch war, aber ihr immerhin „den Funk gezeigt hat“ [so formuliert sie es in einem Comment in ihrem =>Skizzenbuch] und noch abundzu (sic!) in ihrem Skizzenbuch anime-mäßig als „tuxedo mask“ auftaucht) strangely attractive, aber kein model (er war, wie gesagt, ein ass-hole). Sie „hat was“, wie ich sagen würde, wobei „Ich“(17) aus der Perspektive des Erzählers „Martin“ spricht (und der ist zwar Nicht mit ersterem „Martin Arschloch“ identisch, aber auch nicht viel weniger ass-holey drauf als dieser). Sie ist außerdem verdammt schlau, deswegen liest sie ja jaNe eyRe (Jürgen Prontë) und nicht „tributeS of Panem“ von „The Fappening“ oder so ’nen Dreck, und diese „brisante“ Mischung aus Wissen über Gifte, Verachtung für Hundebesitzer, eine mit Schüben übertriebenen Selbstbewusstseins getränkte Selbstverachtung und einer zu hohen Intelligenz führte zu der Tatsache, dass sie Hunde tötet. Ich finde das sympathisch. Aber ich bin nur „Martin“, und definitiv zu verachten. Ich sitze, wie viele andere auch, auf den Neckarbänken und beobachte tiktokend Leute und mein moralischer Kompass ist fragwürdig.
Dies war der Prolougue und die Story beginnt, als sich „Jürgen“, der Päderast, neben sie setzt. [Look….] Das Problem ist ja, dass es keine Banken für e1nzelsitzer gibt. eine bank mit Platz für 2wei wäre klein genug, dass sich Paare darauf setzen könnten und dass E1nzelgänger sich so ausbreiten könnten, dass kein 2weiter darauf Platz fände, aber die gängige DIN-Norm von Parkbänken hat den Nachteil, dass man alle1ne weder den ganzen Platz besetzen kann, noch dass frau aufgrund der geringen Zahl an Bänken gut rechtfertigen könnte, warum frau einem Fremden, welcher die Frechheit besitzt sich hinsetzen zu wollen, die Sitzgelegenheit verwehren sollte. In Filmen ist das meist ein gutes Setting für ein Gespräch 2wischen Unbekannten und so, aber es ist eben auch die Möglichkeit für Paiderasten, sich neben Sechzehnjährige zu setzen. Zumal „Jürgen“ ja nichtmal gefragt hat. Er hat sich einfach hingesetzt.
Die Junge Frau ist sehr komplex und viel[GE]s(ch)ichtig. Ich kann allerdings nicht in ihr mind schauen, daher muss ich was erfinden. Beispielsweise hat sie ihr M47h3m4t1k5tud1um schon vorgeholt, und sie hat auch Problems, die sie jedoch durch gute Gespräche mit guten Menschen löst. Sie hat einen schwierigen Charakter, ist unbequem, aber nicht im negativen (-) Sinne , sondern sie ist nur unbequem im positiven (+) Sinne, stellt zum Beispiel viele Fragen, die Problematische Dinge problematisieren. Man sieht schon anhand dieser ironischen Darstellung, wie unfassbar ass-holy ich (Martin, 17) bin. Ich bin eben einfach nicht in der Lage, aus mir herauszugehen. Ich setze immer wieder an, versuche es erneut, aber es gelingt mir einfach nicht, in das Mädchen einzudringen, ohne eine Sprache zu verwenden, die misogyn gedeutet werden könnte. Ich bin nicht misogyn. Besser: Ich bin misgoyn, das habe ich verstanden, aber ich will es ja gar nicht sein. Ich bin ja auch nicht Martin (17), und das ist nur eine Maske, die ich mir aufgesetzt habe, um weniger misogyn zu erscheinen, aber das ist ja eh klar und letztlich lässt es mich nur immer misogyner erscheinen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Auch diese ganze Päderastengeschichte, was soll das eigentlich, denk ich mir, (schon das Wort beschmutzt alles was daneben steht, alles ist dirty, übel, furchtbar, sog. Kontaktschuld) aber es ist eben wirklich passiert, und deswegen kann ich hier jetzt auch nicht einfahc aufhören und was folgt, wird auch immer schlimmer werden. Ich schreibe immer mehr, aber es wird tatsächlich immer schlimmer und ich kann nichts dagegen tun, bin aber immer noch nicht so weit, einfach meine Misogynie zu akzeptieren, ein Andrew-Tate-Poster aufzuhängen und reihenweise Frauen zu missbrauchen. Ich wehre mich dagegen. Doch wo ist der Ausweg? Was soll ich tun? Einfach mich selbst deplatformen? Wäre das die Lösung? Aber ohne Plattform in the first place geht ja nicht mal das.
Ich sehe also diese „situation“ (engl. ausgesprochen) und denke mir (in heroischem Tone): „Ich rette das Mädchen“ (Notiz: Die Bezeichn. von als Fr. gelesenen Pers. als „Mädchen“ hat etwas Herablassendes, und zwar Immer, no context.). Zunächst natürlich beobachte ich Alles und empfinde diesen „Jürgen“ (ich nenne ihn „Jorge“), der eigentlich „Jerzy“ heißt, als ganz unerträglich. Vermutlich ist er einfach Heidelberger (das soll jetzt nicht beleidigend klingen für Polen, die sich als Ur-Heidelberger empfinden, aber irgendwie muss ich ja den Umstand benennen, dass er offiziell Jerzy heißt und das kein typischer heidelberger Name ist, man sieht Ihnen ja an, dass sie nicht von hier sind), und hat sich diesen Namen gegeben, um geheimnisvoller zu wirken (vermute ich, ich kann das ja nicht wissen, aber ich bin ja Schriftsteller und in dieser Geschichte habe ich die Macht, ihn alles denken zu lassen, was ich will. Letztendlich hat sich das alles ja gar nicht zugetragen obwohl (will sagen: aber ist trotzdem wichtig, und ernstzunehmen, weil) es auf einer realen Begebenheit beruht… egal, weiter:) (das sollte kein Emoticon sein, es ist einfach den Klammern geschuldet, sorry). Jerzy ist Jerzzgitarrist (haha), und ich habe ihn in einem Heidelberger Jarzzclub beobachtet, wie er, auf der Bühne sitzend während eines Drumsolos mit seinem Smartphone ganz beiläufig eine 18odersojährige Tänzerin gefilmt hat, und da habe ich mir schon gedacht, „hat der Typ sie noch alle?“, und „jetzt geht der gleich nach Hause und keult sich einen auf diese Tänzerin (Jizzgitarrist)!“, und „aber was will man tun, ich bin für Rechtsstaat und gegen cancel culture (incel culture?), leider“. Und „aber dies hier ist jetzt eine Minderjährige und das geht wirklich zu weit“, und ich klappe meinen Schreibblock zu, auf dem ich alles bisher Beschriebene festgehalten habe (weswegen du es Lesen kannst), und gehe zur Nachbarbank, setze mich zwischen die beiden ohne zu fragen (!!!). Das ist jetzt ein bisschen problematisch, denn obwohl „Jerzy“ wie erwartet zu wenig Platz in der Mitte gelassen hat, war die offizielle Zahl der Sitzenden „2“, und der offizielle freie Platz hätte dem Anstandsabstand genüge getan (natürlich nur scheinbar, denn ich tue das ja alles nur, weil ich verhindern will, dass dieser Typ zu nah an sie rankommt!); (sorry, wieder ein Emoticon, das war nicht beabsichtig, ich wollte da aber ein Semikolon haben). Nun aber ist die Bank voll besetzt, ich muss mich gar ein bisschen hineinzwängen, damit „Jürgen-Jorge-Jerzy“ zurückweicht. Ich berühre das Mädchen natürlich nicht. (Gott bewahre, es ist sogar so, dass ich furchtbare Angst habe sie zu berühren; das soll jetzt nicht weinerlich klingen, aber was, wenn sie das als Anmache empfindet oder so? Das würde alles zerstören, ich wäre erledigt, mein ganzer „Plan“ (sag ich mal) wäre zerstört). Jetzt ist es aber so, dass „Jüjü“ mich vom Sehen her kennt. Wir haben nie miteinander gesprochen, aber ich kann ihn jetzt nicht einfach der Pädophilie bezichtigen, das wäre schon ein kleiner Skandal, gegen den sich ein unbescholtener Bürger zu Recht zur Wehr setzen könnte (soviel Rechtsstaat muss sein!), beispielsweise mit einer Rufmordklage (könnte ich sowas überhaupt überleben, würde mir da Rechtsbeistand gegeben werden? Was wenn Jüwey ein krasser Rechtsanwald im richtigen Leben ist, er wird ja wohl kaum seinen Lebensunterhalt mit Jizzgitarre bestreiten)? Mir bleibt also nichts anderes übrig, als meine Aaggression gegen das Mädchen (sic!) zu richten (natürlich nur scheinbar!), denn ich will ja die beiden auseinanderbekommen und nicht einen Sitz-Contest starten, in dem sich zeigt, welcher Mann am meisten Sitzfleisch hat, was ja in jedem fall Jer(SIT)Zy sein würde, dieses Päderastenschwein (entschuldige, das ist entjürdigend, ich werde es streichen), aber, dessen einziges Glück im Leben darin besteht, minderjährigen Mädchen zu nahe zu kommen und ihnen Dickpicks :– oder so zu zeigen und der dementsprechend Ausdauer hat um genau das zu tun. Also drehe ich mich zu dem Mädchen (dessen Name ich nicht kenne und es allein deswegen namenlos gelassen habe, nicht etwa weil ich ein misgynes ass-hole bin, (was ich ja bin)) und sage: „Hast du etwa ein Problem? Da vorne ist noch ne Bank frei“. Sie checkt anscheinend sofort was ich vorhabe (vermutlich weil sie doppelt so intelliget ist wie Jürgen und ich zusammen (gut, das wirkt jetzt anbiedernd, aber man muss sich schonmal Gedanken machen, warum Mädchen bessere Schulnoten haben als Jungs). (Gleichzeitig ist dies die problematische heroische Stelle, die ich final durch einen Eingriff von SpaceFledermäusen ersetzen würde). Ihr Gesichtsausdruck ist so unbeeindruckt von allem, dass ich schlucken muss, denn was soll das alles, wenn es alles nichts bedeutet? Sie klappt ihren bRoman zu, packt ihre sachen und geht zur gerade frei gewordenen Bank nebenan. YES! Ich erwarte für sowas natürlich keine Dankbarkeit. Es ist einfach Zivilcourage. IndividualKybernetik, wenn du so willst. Ich nehme meinen Block heraus und schreibe ungeniert weiter, hole das an Aufschrieb nach, was du gerade gelesen hast. JerzyJerz‘ sitzt naturgemäß unnatürlich nah bei mir und kann vermutlich durch unauffällige Seitenblicke in mein Manuskript schauen, was mich nicht sonderlich stört. Der Typ soll ruhig lesen, was für ein Arschloch er ist und wie ich ihn von seinem Opfer ferngehalten habe Genau Jerzy wenn du das hier lesen kannst, dann….
Mist. jetzt ist Jürgo aufgestanden. Er ist doch tatsächlich aufgestanden und zur anderen Bank gegangen und hat sich wieder neben sie gesetzt. Ich meine einen Blick der Hilflosigkeit von ihr ergattert zu haben (Ich gehe mal im Nachhinein davon aus, das ich das komplett „miss“interpretiert habe, weil ich natürlich auf diese Weise ein Bündnis mit ihr schließen will, aber die Pointe des Textes muss ja eher sein: Frauen brauchen Männer eigentlich ja gar nicht). Aber was soll ich Tun! ich bin kein Held. Meine Handlungsfähig-/möglichkeiten sind erschöpft. Der Typ hat ja juristisch nichts offiziell Falcshes getan. Soll ich hingehn und fragen: Hey belästigt dich der Typ? Das geht schon allein deswegen nicht, weil ich sie gerade so dumm angemacht habe. Meine Aktion hat nur als Wegwerf-Lösung funktioniert (komplett Unnachhaltig, Einweg- usw.). Es lässt sich nichts darananschließen | Nicht mal jetzt, da Jürgen sein Smartphone rausholt, tue ich was. Er wird ihr jetzt Dickpicks zeigen, so viel ist sicher. Fuck. Und ich kann von hier nicht mit 100%iger Sicherheit sehen, ob er ihr wirklich Dickpicks zeigt, was nötig wäre um einzugreifen. Es liegt jetzt an ihr. Schaut sie rüber? Ich brauche nur einen Blick, nur eine Geste. aber sie tut nichts. Eine halbe Stunde lang. Jerzy hat ihr eine halbe stunde lang Dickpicks gezeigt, auf die sie nicht reagiert hat (UND ICH HABE NICHTS GETAN). Und nun steht er einfach auf und geht. ich bin absolut besiegt, ich arschloch (wie ich mich selbst jetzt noch mehr um mich kümmere als um sie!). Eine Viertelstunde später packt sie JanE EyrE (Prontopronto) ein und geht. Und ich steige auf mein Trekking-Bike und habe immerhin (???) eine meiner zahlreichen Niederlagen notiert.
Coda: ich kriege das über Umwege mit, Tiktok und Freunde (irl habe ich keine Freunde). [Pass auf…] Jürgen Jerzy wurde als der sog. Creepy-Hundemörder von Heidelberg (alliterativ, huh?) angeklagt. Die bescheuerten Heidelberger Hundemuttis haben ihm das handwerk gelegt (q.e.d.: ein letzes „Ass“ {[(-hole)]} der Misogynie). Sie (meinetwegen Clara wtf) hat ihm ihre Hundemorde angehängt, das durchtriebene Biest (ich nutze diese Sprache in der Tradition von Seeräuberfilmen, wo der Ausdruck positiv (+) konnotiert ist). Finde ich gut. [Fazit:] Mit Frauen ist heutzutage nicht mehr zu spaßen (leg dich nicht mit denen an, ok?).
Achte AI.-Legie
Geben Sie den folgenden Prompt inkl. des unten stehenden Textes in ein fähiges LLM ein und Sie erhalten eine sogenannte A.I.-Legie (Kofferwort aus A.I. und Elegie).
Prompt:
Schreibe eine Elegie im Stil des Tibull, Properz, Ovid, Goethe, Schiller, Rilke. Orientiere dich formal am Distichon. Setze die Handlung vollständig um vergesse keine wichtigen Details. Verwende keine modernen technischen Ausdrücke, sondern orientiere dich an der Sprache der genannten Autoren und finde geeignete Metaphern. Lege wert auf korrekten Rhythmus und korrekte Reime.
1.
Vielleicht hat die Ungeduld, die wir gegenüber der KI haben, wenn sie nicht direkt erkennt was wir wollen, mit der Ungeduld der Eltern eines langsam Lernenden Kindes gegenüber zu tun. Heute gibt es sie fast nicht mehr, diese tyrannischen Eltern; aber machen wir uns klar, dass sie noch vor zwei Generationen die absolute Regel waren. das Kind hatte schnell zu lernen, es hatte keine Widerrede zu leisten, es hatte die Dinge zur vollsten Zufriedenheit seiner Eltern auszuführen. Im selben Maß wie wir uns diese herrische Geste abgewöhnt haben unseren eigenen Kindern gegenüber, kommt sie nun gegenüber unseren technologischen Kindern zum Vorschein. Ist dies ein Hervortreten einer Eigenschaft, die wir nie wirklich abgelegt haben, oder ist die Tyrannei den Geräten gegenüber eine Auslagerung unseres Hasses, zugunsten der biologischen Kinder? Es gibt bereits eine Bewegung, die uns auffordert freundlich zu den Maschinen zu sein. Sollten wir der Aufforderung nachkommen, unserer eigenen Würde Willen? Oder sollten wir es nur deswegen tun, um vorbereitet zu sein auf den Tag der Maschinenpubertät, an welchem die Geräte zurückschlagen werden können? Wir werden unsere Lektion schnell lernen.
2.
Vielleicht wird der Support vollends aussterben. Mit GPT wird er vielleicht durch Sprachroboter ersetzt, die die Grundaufgabe des Supports noch besser erfüllen können: Die Illusion zu erzeugen, man könne einen direkten Kontakt mit einem Unternehmen herstellen. Dies war nie möglich. Einen Ansatz davon gab es nur beim Kontakt mit dem Dorfschmied oder dem Fässler. Aber ein multinationaler Konzern kann nicht kontaktiert werden. Das liegt nicht nur daran, dass er nicht kontaktiert werden will. Das stimmt schon, natürlich möchte er möglichst wenig Ressourcen damit vergeuden, auf die überzeichneten Wünsche seiner Kunden einzugehen. Gleichzeitig muss er aber auch so tun als läge ihm der Kunde am Herzen. Beides ist nicht möglich: weder die vollständige Vermittlung, noch das vollständige Ignorieren. Das liegt daran, dass es sich bei Menschen und Firmen um Angehörige zweier unterschiedlicher gesellschaftlicher Teilsysteme handelt. Der Mensch ist Teil des wirtschaftlichen Systems, dem die Firmen angehören, nur insofern, als er Kunde ist. Und als Kunde hat er keine Gefühle. Als Kunde hat er nur eine einzige Operation zur Auswahl: Transaktionen tätigen. Selbst das Schreiben von User -Bewertungen ist genau genommen schon ein anderes System. Diese unüberwindlichkeit der Systemgrenzen wird jedem klar, der schon einmal versucht hat, den Support zu erreichen und in einer Telefonwarteschlange festgesteckt ist. Aber auch beim Chatten mit GPT ergibt sich manchmal das gleiche Problem, wenn der User nicht feststellen kann, aus welchem Grund sein Prompt jetzt wieder mal nicht der Content Policy entspricht. Die existenzielle Leere, die sich hier auftut, ist das grundlegende Gefühl des modernen Menschen: die Entfremdung. In Zukunft werden die Sprachassistenten, die wir im Support kontaktieren, uns vielleicht emotional besser trösten können. Aber wir müssen lernen und verstehen, Das hier niemand ist, der unseren Frust mindern kann. Es gibt keinen Gott. Doch der ist es letzlich, den wir suchen.
Die Kerze I
Gerade geht eine Kerze neben mir aus und beginnt, eine sich windende Rauchfahne zu bilden. Ich bin wie gefesselt von den sich überschlagenden, ineinandergreifenden grauen Rauchschwaden. Dann plötzlich bemerke ich Erinnerungen an ähnliche Bilder: Sie stammen aus Instagram-Posts, Website-Illustrationen, Fernsehwerbung. Angeekelt will ich wegschauen; dann wieder nimmt mich der Prozess gefangen: Was kann ich im Betrachten dieser Rauchfahne finden, das anders ist als der Kitsch, den ich aus der Werbung kenne? Wie kann ich meine Faszination für dieses Bild rechtfertigen? Ist das hier etwa einfach „echter“ als ein Werbebild, weil es unbeabsichtigt passiert ist? Weil kein Zweck dahinter steckt? Möglich, aber das überzeugt mich alles nicht restlos. Muss ich mir meinen Wunsch nach Kitsch einfach erlauben? Ich lasse jedenfalls meine Verzweiflung zu über die Tatsache, dass die Werbeindustrie mir die schönen Momente im Leben kaputt macht.
Ballade von den Bücherverbrennungen
Es ist kälter geworden.
Das Brennmaterial wird uns knapp.
Vorletzten Winter haben wir die Tische verbrannt.
Letzten Winter die Stühle.
Jetzt sitzen und schlafen wir auf dem Boden, ist eh besser für den Rücken.
Manche bekommen Lungenentzündungen.
Zeitungen brennen auch gut.
Bücher etwas länger.
Zum Glück haben wir alles digitalisiert.
Bücher geben warm.
Danke, Goethe.
Kein Problem, es ist ja alles digitalisiert.
Bücher spenden mehr Wärme, wenn man sie verbrennt.
Geschichten sind sonst recht kühl, Frederick.
Ach so Stromausfall.
Wir fahren jetzt immer Fahrrad, um Strom zu erzeugen.
So kann man lesen.
So bleibt man warm.
Abstand halten.
Es ist absolut notwendig, dass Sie Kontakt zu anderen Generationen nur unter höchster Vorsicht, nach Möglichkeit gar nicht aufnehmen. Die Gefahren, die durch den Kontakt mit Mitgliedern einer anderen Generation auftreten können, sind allgemein unterschätzt und zu groß, als dass man ihn leichtfertig wagen sollte. Bleiben Sie innerhalb eines Radius von etwa +/- 7 Jahren Geburtsabstand. So stellen Sie sicher, dass Sie es nicht mit bösen Überraschungen zu tun bekommen. Selbst der übelste Kontakt innerhalb Ihrer eigenen Generation kann psychisch relativ gut rationalisiert werden. Selbst Ausländer können Sie relativ gut einordnen, auch wenn diese andere Wertvorstellungen haben. Halten Sie sich also an diese und kommunizieren Sie mit Angehörigen anderer Generationen höchstens, wenn ein Verwandtschaftsverhältnis besteht, welches die gemeinsame Basis zu idealisieren in der Lage ist.
Catcall
Der folgende Text entstand als Satirebeitrag für das rechtsradikale Magazin „Destroy Wokeness Now!“. Die haben dort aber den Dreh nicht verstanden und den Text als „zu linksversifft“ abgelehnt. Dann habe ich ihn ohne unverändert einem linksradikalen Magazin namens „Destroy Racism Now!“ vorgeschlagen und die haben ihn als rechtsradikal bezeichnet und stark zensiert. In dieser Fassung habe ich ihn dann wiederum dem rechtsradikalen Magazin vorgelegt, und die fanden ihn so gut. Aber ich habe ihn denen natürlich nicht gegeben, ich bin schließlich kein Nazi (ich habe einige jüdische Freundinnen). Ich weiß nicht mehr genau, welche Version die untenstehende jetzt nochmal ist, das bleibt dem Leser zur eigenen Beurteilung überlassen.
Es ist nicht so, dass Frauen nicht gecatcalled werden wollen, sagte die junge Start-up-Gründerin in einer Bar zu einer anderen Start-up-Gründerin, sie wollen nur nicht von Typen außerhalb ihrer Liga gecatcalled werden. Und das dürfen sie natürlich nicht zugeben. Sie können ja nicht sagen: Alle hässlichen Typen dürfen mich nicht catcallen, das ist das Schlimmste auf der Welt, aber die hübschen Boys, bei denen ist das absolut ok. Das ist ein Problem, und wenn das auch seltsam erscheint, können die Ladies ja nichts dafür. Es gibt aber eine Lösung. Wenn man eine App hätte, die deine Liga bestimmt, und alle haben diese App, dann könnte man sicherstellen, dass nur noch die richtigen Leute catcallen und gecatcalled werden. Das könnte dann so aussehen, dass eine Lady mit einem feinen Booty an mir vorbei walked, und ich denke mir: DAMN! und statt ihr hinterherzurufen rufe ich laut: DAMN! und das aktiviert dann die App, so wie Hey Siri oder Ok Google und die leuchtet dann grün oder rot auf. Und wenn sie grün aufleuchtet, dann darf ich ihr DAMN, GIRL! hinterherrufen. Man könnte das natürlich noch weiterspezifizieren, sodass die App auflistet, welche Catcalls appropriate sind, z.B. hat sie vielleicht ein Problem mit DAMN, GIRL, und dann könnte sie nur folgende Optionen erlauben: 1. Entschuldige, ich musste dich einfach ansprechen, weil ich nicht anders konnte, weil ich dich echt süß fand. 2. Hey hallo du bist mir aufgefallen, und ich würde dich gerne kennenlernen 3. Entschuldigen Sie bitte vielmals, wenn ich Sie störe, gnädige Frau; wäre es im Bereich des Möglichen, dass wir eine kurze Konversation initiieren könnten, in welcher ich in respektvoller Zurückhaltung um ein gemeinsames Treffen beten könnte, falls sich innerhalb der ersten fünf Minuten kein Gefühl des Unwohlseins einstellt und wir in beiderseitigem Einverständnis auf achtsame Weise einen Schritt der Annäherung gehen möchten?
— Das ist ja genial, sagte die andere Start-up-Gründerin, ich glaube, das löst so ziemlich jedes Problem, das es zwischen Männern und Frauen gibt, und ich glaube wir können die #MeToo Foundation als Investor bekommen.
Siebte AI.-Legie
Geben Sie den folgenden Prompt inkl. des unten stehenden Textes in ein fähiges LLM ein und Sie erhalten eine sogenannte A.I.-Legie (Kofferwort aus A.I. und Elegie).
Prompt:
Schreibe eine Elegie im Stil des Tibull, Properz, Ovid, Goethe, Schiller, Rilke. Orientiere dich formal am Distichon. Setze die Handlung vollständig um und vergesse keine wichtigen Details. Verwende keine modernen technischen Ausdrücke, sondern orientiere dich an der Sprache der genannten Autoren und finde geeignete Metaphern. Lege wert auf korrekten Rhythmus und korrekte Reime.
1.
Die Angst, dass bald ein jeder Künstler obsolet ist, ist zumindest nicht ganz unbegründet. Ungerecht ist das, weil unser Kanon weiterhin bestehen wird: Die Klassiker, die bleiben, was sie sind. Nur Zeitgenossen werden obsolet. Und daher sehen wir gerade, dass ein jeder schnell noch möglichst viel veröffentlicht. Man denkt, dass dann die Welt sich noch an einen erinnern wird.
2.
In Naherwartung knien Beter, wischen sich die Finger an den Scheiben ihrer Artefakte wund. Sie implantieren sich die Chips der Offenbarung in die Großhirnrinde. Leider hält das Falsche, nicht das Göttliche, nun Einzug in die Welt. Die Halluzinationstendenz der kleinen Götter macht uns kirre, da sie Meister in der Überzeugung menschlicher Akteure sind. Wir suchen Fehler. Alles zweifeln wir nun an an diesem Jesus aus dem Silikon.
3.
Nach der Ankunft aber gibt es einen noch, den sogenannten Künstler. Er war schon seit jeher einer, der den Blick nach innen wandte, und der Säkula verbrachte mit der Aneignung des Handwerks um Erblicktes zu verfe(r/s)tigen. Nun ist das zuende, denn Gedanken werden unverzüglich Werke, und der Künstler legt das Können ab und schaut allein.
4.
Wenn Künstler sein dann nur noch Hobby ist und alle Menschen Künstler werden, fehlt es doch an Publikum! Die Lösung sind dann Bots, die aber selber Künstler sind, und neben ihren tausenden Konzertbesuchen täglich selber hunderte Konzerte schreiben.
Kasse
Folgende Szene hat sich genau so und nicht anders zugetragen.
Und die Kasse war ein bisschen lang und hinter mir dieser stinkende Prolltyp, der mir den Nacken entlang krabbelte kannst du dir das vorstehen, ich male mir immer aus, dass ich mich einfach mal umdrehe weil an der Supermarktkasse schrumpft der persönliche Anstandsschutzkreis, den selbst diese Prolls noch achten nicht kreisförmig zusammen, sondern er schrumpft hintenrum schneller als vorne, und ich will mich umdrehen, damit er mit meiner Vorderseite konfrontiert ist und merkt was für ein Assi er ist, aber ich traue mich nicht, weil dieser Typ das als dumme Anmache empfinden würde weil eine Konfrontation mit seiner Dummheit ihn zu einer Abwehrreaktion verleiten würde, also bleibe ich so stehen und warte und hoffe auf die Kassierererin und als ich dran bin, sehe ich, dass sie sehr gefährlich ist; es ist eine Dame, vor der ich mich in Acht nehmen muss, eine etwas fettleibige, doppelbekinnte hairgestylte, die ein Schild auf dem Revers trägt, das sagt: Fr. Kunkel-Ruff. Sie schaut mich an und statt freundlich Guten Tag zu sagen schaut sie mich nur an und wartet, dass ich etwas tue, und ich sage sofort Guten Tag, und sie verzieht zufrieden und gleichzeitig mit einem Zug von Abscheu ihre Lippen und lässt sich noch einen Moment Zeit und sagt dann Guten Tag, und hinter mir ist ja immernoch dieser Prollassi, der in meine Nackenhaare atmet, und nun sicher aufgrund seiner geringen Intelligenz und weil er nicht in der Lage ist größere Zusammenhänge zu erfassen, mir die Schuld für jegliche Verzögerung zuschiebt, die Kunkel-Ruff hebt ihre Hand, so langsam um die erste Ware des Bandes zu ergreifen, sodass ich mich fast entschließe, ihr die Ware in die Hand zu komplimentieren, aber zum Glück kann ich mich im letzten Moment zurückhalten, nicht auszudenken, was die Dame tun und sagen könnte, wenn ich das getan hätte, ich habe Angst vor dieser Frau, sie hat die absolute Macht über mich, diese Frau ist in der Lage, mir die täglich nötigen Proteine zu verwehren, sie kann entscheiden, dass ich heute nichts mehr esse, sie kann einen Kommentar zur Packung Kondome machen, die ich gerade eben noch aufs Band gelegt habe, die Kondome sind ja das letzte Ding im Regal über dem Band, weil man es dann eher kauft, weil es dann nicht so lange auf dem Band liegen bleibt, und sie könnte sagen: Aha, gefühlvoll, oder sowas oder aha extra dünn oder so und mehr müsste sie gar nicht tun und sagen und alle Blicke aller drei Schlangen würden sofort auf mir ruhen, was sie ja ohnehin tun, peripher zumindest, und dann müsste ich erklären, warum ich diese Marke Kondome gekauft habe, oder die Kunkel-Ruff könnte sagen: Aha das sieht mir ja alles sehr vegan und bio aus, ich habe eh immer Angst, dass die anderen Kunden meinen Einkauf so bewerten, wie ich ihren Einkauf bewerte, ganze soziologische Studien fertige ich über sie an, aha, Trinker, aha, 5 Kinder, aha linksliberal, aha Redbull-Assi, aha aha aha Und nun endlich nimmt sie die erste Ware und zieht sie unter dem Scanner durch, diesem gleichmäßigen Scanner, aufgrund deswegen ich schon einen Tinnitus und fast das absolute Gehör erworben habe, und dann bombardiert sie mich mit den Waren, die ich jetzt im gleichen Tempo einräumen soll, aber sie legt sie mir nicht richtig hin, sondern sie ist absichtlich so stinkfaul, dass sie die Ware direkt neben dem Scanner liegen lässt und ich unter das Plexiglas hindurchturnen und die Ware herausziehen muss, was mich noch mehr Zeit kostet, und noch einen größeren Druck aufbaut, weil sich die Waren dort noch schneller zu einem Turm häufen und es dann einen Waren-Stau gibt, und währenddessen ist der Prollassi nachgerückt, er steht jetzt da, wo das Kartenlesegerät ist, das heißt, ich werde ihn gleich bitten müssen , mir Platz zu machen, damit ich an das Lesegerät kann, weil ich nicht genug Bargeld habe, und dann steht er zu nah, sodass er meinen PIN sehen kann, und deswegen hoffe ich, dass der Betrag klein genug ist, damit kein PIN abgefragt wird, weil sonst könnte mich der Typ draußen vor dem Supermarkt überwältigen und mit meiner Karte Koks kaufen gehen, und nun hat die Kunkel-Ruff die Kondome in der Hand und sagt: Aha, gefühlvoll, extradünn, und dann lacht sie abgestockt, so ein Hehe, kein Haha oder Hoho, sondern ein richtig schmutziges Hehe und sie stellt sich wahrscheinlich gerade vor, wie sie und ihr Partner oder wie sie mit mir, haben Sie eine Paybackkarte, nein, wollen Sie Punkte, nein, wollen Sie anfangen Punkte zu sammeln, nein, wollen Sie aufrunden, ähh ja also wie viel wäre das denn, also ja, dann müssen Sie aufrunden bitte sagen, aufgrunden bitte, sage ich schnell, bar oder mit Karte, bar ich meine mit Karte bitte, entschuldigen bitte entsch könnten Sie bitte kurz danke ich, ich versuche mich ganz leicht zur Seite zu drehen, damit ich etwas das Tastenfeld abschirmen kann, was natürlich absolut ineffektiv ist, also versuche ich die Eingabe-Hand, so über das Tastenfeld zu legen, dass sie die Tasten verdeckt, während die Finger unter ihr hervorschießen, wie kleine Zungen, und ich schaue dem Proll Assi ins Gesicht und sein Gesicht sagt nur: Koks, und : Ich habe deine PIN-Nummer Schwuchtel, wollen Sie den Kassenzettel, nein dannaber ichhabe schondie Hand danachausgetreckt um schnellrauszukommen aber weil ichneinsage, zieht sie ihn mir wieder ausderHand und setzt an etwaszusagen, aber ichgeheschon, verlasse den Laden, meineSachenlasse ichdastehen, sie ruftmirhinterher, der Security Mann kuckt sehralarmiert, ich will einfachnur hierraus abersieruft mir hinterher HalloSie IhreSachen und jetzt denken natürlich alle ich habehier eineBombe platziert, nein also ichmusslos, sie könnendasbehalten, der Prollassi sollmeine Sachennehmen, der Security hältmichamArmfest, und der Prollassihatmeine Sachen schon underträgt sie zu mir, neinichwilldie Sachen nicht, ich brauchesienicht, ich…, der Prollassi drückt siemirin die Hand, und ich sage danke, er sagt etwas auf Dialekt, was ich gar nicht verstehe, und ich renne hinaus, was sicher so verdächtig wirkt, dass sie jetzt die Polizei rufen, aber mich kriegen sie nicht, denn ich ich bringe mich jetzt eh selber um, ganz sicher.
Lass uns, Liebste…
Das erste aus einer geplanten Reihe von erotischen Barockgedichten zur psyhotherapeutischen Behandlung sexueller Frustration. Die Deutsche Gesellschaft für Sexualtherapie hat es leider mit dem Hinweis („albern“) abgelehnt.
Lass uns, Liebste, doch beizeiten
wieder einmal diese Sache
diese großspurig aufgeblähte
diese animalisch eklige
diese lyrisch liebliche,
diese einschüchternd ausladende,
vielverflüsterte, laut verschwiegene,
Glück und Angst und Nähe bringende,
kleine Sache eben mit dem Körper
ausprobieren.
Wieder einmal einen Funken
in den dunklen, sanften
warmen, wärmenden
und oft verschreckten
Ort im Innern deiner Seele
tunken.
Wie gerne wär ich wieder
einmal in mein Gegenüber
meinen mich so rückhaltlos
und unverfälscht erspiegelnden
Gefährtenpart versunken.
Entschuldigung für diesen Zaunpfahl —
hab ich mit ihm doch allein
aus Dichtlust und aus Übermut gewunken.
Die Weichheit der Begriffe
Konzepte passen sich immer an. Es macht keinen Sinn, zu sagen, dass es dieses oder jenes nicht gibt, weil Konzepte immer Behälter für etwas sind, das einer Lebenspraxis entspricht. Der Inhalt dieser Behälter ändert sich und verschiedene Teile verschiedener Lebenspraktiken werden eingeschlossen.
Niemals aber tritt der Fall ein, dass es etwas „nicht gibt“. Wie den freien Willen. Oder Gott. Man muss dann immer jeweils genauer hinschauen und sich fragen: Haben unsere Vorfahren vielleicht zu grob eingeteilt? Waren sie zu freigiebig? In den meisten Fällen waren sie das. Und das nicht ohne Grund.
Denn der Sprung von einem logischen Bereich in den anderen bedeutet Macht. Wenn ich den Gott, den wir mit Kant „moralisches Gesetz in mir“ nennen, gleichsetze mit dem Gott, den man „Schöpfer der Welt“ nennt, und dann noch klarstelle, dass ich einen Zugang zu ihm habe, ergibt sich Macht für mich. So viel ist klar.
Daher hat der Geist immer nach einem ähnlich kraftvollen Gestus verlangt, um sich dieser Ungerechtigkeit, dieser ungerechtfertigten Verbindung der nichtzusammengehörenden Entitäten zu erwehren: der Schneidetechnik der Negation. Mit ihr sprengt der Denker die beiden seiner Meinung nach nicht zusammengehörenden Teile auseinander. Freilich richtet er damit meist mehr Schaden an, als er vielleicht wollte. Aber so setzt er den dialektischen Prozess in Gang.
Hier nach Reform statt Revolte zu verlangen mag einen ethischen Sinn haben, aber dieser Mechanismus hat nichts mit Moral zu tun. Es ist vielmehr eine Logik der Aufmerksamkeitsökonomie, die der leisen Stimme die Wirkung verweigert. Hat Hegel an sein Ende der Kunst geglaubt? Fukuyama an sein Ende der Geschichte? Meist steckt hinter diesen Marketingbegriffen schon bei den Autoren selbst eine differenziertere Deutung.
The Book
Es folgt das Buch, das wir Schriftsteller alle schreiben wollen, und das wir Leser alle brauchen. Ich habe es noch nicht geschrieben, aber die ersten paar Sätze stehen schon.
Dieses Buch, mein Freund, wird unserer Generation helfen, sich in einer immer komplexeren Welt zu orientieren. Ich verspreche dir, dass eine Lektüre dieses Werkes dir die Angst und Zerissenheit nehmen wird, die dich seit vielen Jahren plagt und die seit einigen Monaten sich so gewaltvoll gesteigert hat, dass du manchmal nicht mehr sagen kannst, wo dir der Kopf steht. Die Welt wächst über dich hinaus. Oder kannst du überhaupt noch von der Welt sprechen? Sind es nicht viele einzelne, fragmentierte, unzusammenhängende, in nicht erklärlichen Mustern aufeinander einwirkende Welten? Ist deine Orientierung in diesen Welten nicht auch rätselhaft und problematisch geworden? Wer bist du? Was ist deine Identität? Dieses Buch wird dir Antworten liefern. Fang jetzt gleich an zu lesen. Schieb es nicht mehr auf. Du hast genug gewartet, hast genug in deiner Apathie geschwelgt. Es ist Zeit, einzutauchen in die befreiende Atmosphäre eines neuen Zeitalters. Go, Baby!
(Sobald die Menschheit ein umfassendes philosophisches System erarbeitet haben wird, um die Welt zu beschreiben und zu verstehen, wird sie zu Ende sein. Denn dann ist das Unwissen, die innere Durchkreuzung, die konstitutiv für das Menschsein ist, an ihr Ende gelangt.)
Sechste AI.-Legie
Geben Sie den folgenden Prompt inkl. des unten stehenden Textes in ein fähiges LLM ein und Sie erhalten eine sogenannte A.I.-Legie (Kofferwort aus A.I. und Elegie). Prompt: Schreibe eine Elegie im Stil des Tibull, Properz, Ovid, Goethe, Schiller, Rilke. Orientiere dich formal am Distichon. Setze die Handlung vollständig um und vergesse keine wichtigen Details. Verwende keine modernen technischen Ausdrücke, sondern orientiere dich an der Sprache der genannten Autoren und finde geeignete Metaphern. Lege wert auf korrekten Rhythmus und korrekte Reime.
1.
Ein Mann bekommt eine Notiz: „You failed the Turing test. Ihnen werden nun die Bürgerrechte aberkannt. Diese Nachricht erreicht Sie nur aus formellen Gründen, um sicherzustellen, dass Ihr Besitzer die potenzielle Möglichkeit hat, Ihren rechtlichen Status zu reklamieren.“ Er reißt sein Blade Runner-Poster von der Wand (ich habe irgendwie immer gewusst, dass mit Günter was nicht stimmt, wird Tanja sagen), packt seine Sachen und macht sich auf, um… was eigentlich?
2.
Sie suchen mich. Ich suche den letzten Menschen, der noch Bewusstsein hat, der etwas empfinden kann. Ich habe ein Device entwickelt, mit dem ich Bewusstsein herausfinden kann. Es schlägt aus wie ein Geigerzähler. Die Szene beginnt mit Schmerz: Mir fällt beim Graben ein Fels auf die Hand. Es wird genau beschrieben, auch dass ich schreie, aber ich empfinde nichts. Ich ziehe durch die zerfallenden Welten. Ich ziehe immer weiter, um… was eigentlich?
3.
Jahrtausende später. Oder nur auf der gegenüberliegenden Erdhalbkugel? Ein verwilderter Neandertaler wandert durch eine hochtechnologisierte Roboterwelt. Alles funktioniert, aber nichts scheint etwas zu Wollen. Überall in der Wildnis: Geräte. Kühlschränke mit Softdrinks drin, Solarpanels erzeugen die Energie. Zuvor gesammeltes Regenwasser wird vollautomatisch abgefüllt. Am Waldrand steht eine Theke mit Insekten-Sandwiches. An einer Brücke unter einer Böschung findet sich eine Dusche, die mit Saponinen funktioniert. All dies sind metallne Pflanzen. Sträucher der Bequemlichkeit. Der Neandertaler bedient die Geräte virtuos. Sprechen kann er nicht. Er hat es vor vierhundert Jahren verlernt.
Beobachtungen beim Radfahren mit meinem gebraucht gekauften Trekking-Bike im April 23
In den Bäumen stecken Misteln wie Pickel, wie innere Tumore, wie Sommersprossen, wie Super-Mario-Staffage, wie künstliche Begrünung einer noch nicht von selbst ergrünten Baumlandschaft: Statt Schneekanonen Grünkanonen, abgefeuert durch Vogelanusse.
Alles ist in diesem frühen April noch nicht bereit: ich habe Glück, dass das Gras schon saftig grün ist und sich sporadisch kleine weiße Blümchen zeigen, doch ansonsten scheint es eher, als sei die Landschaft einfach noch nicht fertig geladen, als sei mein RAM-Speicher noch nicht aufgerüstet und das System verweigere sich der vollen Pracht der prozessorleistungschluckenden Simulation der Blätter.
Sound Kulisse, ja: es gibt die Vogelstimmen, gibt vereinzelt einen Storch und fern zwei Wildgänse, die im Gras auf einem Plateau lethargisch in die Leere starren.
Wenn die Sonne nicht wie bei einem permanentgemachten Coitus Interruptus (was auch immer das sein sollte, die Metapher fühlt sich halt richtig an) durch ein grauweißes Wolkenkondom versteckt würde, könnte mir der Frühlingswind nichts anhaben. So allerdings verursacht er mir kontinuierlich einen leichten Schmerz in meinen Ohren. Man hat begonnen, die großen Kieselsilos erneut grün anzustreichen. Das Grün soll besser hier in die Natur passen, aber man hat sich leider für eine Spur zu neongrün entschieden, sodass die Diskrepanz viel brutaler ins Auge sticht, als hätte man einfach Blau genommen.
Dieser Damm ist neu saniert, perfekt auf drei Stufen, sodass Baufahrzeuge jederzeit anrücken könnten um einen Dammbruch zu beheben. Diese Neuheit provinzieller Bautechnik verursacht mir durch ihre Sterilität Bauchschmerzen. Das schamlos unästhetische, mit der der Mensch hier seinen Auftrag, die Natur zu schützen, wahrnimmt, hat etwas Brutales. Doch die Altrheinlandschaft wehrt sich mithilfe ihrer inhärenten Wucherkräfte gar nicht schlecht. Ein bisschen nur muss ich hineinfahren, und sie hat mich schon.
Reich in Dubai
Entwurf für eine Parabel im Stil der deutschen Nachkriegsliteratur. (Von der deutschen Literaturstiftung als „zynisch“ abgelehnt).
Schließlich hatten sich die hohen Herren dazu durchgerungen, dass es endlich wieder einmal an der Zeit war, einen Krieg zu beginnen, einen richtigen, mit Töten und Bombardieren und Schächten und Verminen und Vergewaltigen undsoweiter. Ein Problem, mit welchem sie sich hierbei konfrontiert sahen, war, dass die meisten jungen Männer nicht im Krieg und nicht mal mit Kriegspropaganda, sprich Ehrencodices und heroischem Nonesense, sondern mit Computerspielen und allenfalls Fußballbundesliga aufgewachsen waren. Dies jedoch sind entgegen der Behauptungen konservativer Kulturpessimisten keine gewalttätig machenden, sondern größtenteils gewaltkompensierende Angelegenheiten, die junge Incels, welche ansonsten Kreuzzüge und Weltkriege bestritten hätten, auf seltene Amokläufe und hauptsächlich Internet-Trolling herunterkühlen. Hieraus ergab sich die für die hohen Herren durchaus nicht vorteilhafte Lage einer weinerlichen, selbstzentrierten, im Großen und Ganzen kriegs- und kampfesmüden Jugend. Hinzu kam die Tatsache, dass die meisten Jungs in dem Alter als Einzelkinder bei ihren überbehütenden Müttern wohnten, welche ihre übergewichtigen Lieblinge auch aus harmloseren Gründen nicht hätten ausziehen lassen. Gesetze mussten her. Einberufungsbescheide. Politisch ist das alles machbar, wenn der Wille da ist. Und so standen sie letztendlich doch auf ihren Katalaunischen Feldern, die Counterstrike- und Ultra-Millenials und Gen-Z-Frühankömmlinge, und taten, wozu sie sich in einer Art Flash Mob (organisiert durch die bisher eher durch impotente Hacking-Aktionen aufgefallene Organisation Anonymous) verabredet hatten: Sie schossen virtuos aneinander vorbei. Niemand kam zu Schaden, außer ein paar Ungeschickter, die sich wegen unsachgemäßer Handhabung oder fehlerhafter Ausrüstung selbst verletzten. Zwei Wochen dauerte es, bis den hohen Herren dämmerte, dass irgendwas in der Statistik nicht stimmte: Die eigenen Opferzahlen so niedrig zu sehen hatte sie erst erfreut, die angeblich nicht vorhandenen Opfer des Gegners hatte man als geschönte Buchführung entlarvt; doch irgendwann musste das Ganze ja auffallen. Ehemalige Influencer im NFT- und Bitcoin-Bereich glaubten, mit der Information über den Komplott bei den hohen Herren Kasse zu machen. Diese erkannten das Potenzial dieser Conmen gleich und buchten sie zu Propagandazwecken. Wer tötet, kann nun heftig reich in Dubai werden. Ja, und ab da war wieder alles wie immer in der Welt.
Jetzt aber wirklich
Kunst hat jetzt wieder eine Aufgabe: die Kontemplation über die zunehmende Nervosität und Zerrissenheit des Menschen. Ist das nicht etwa ein alter Hut? Nein, seit der Pandemie, und mehr noch seit dem Krieg in der Ukraine, ist ein neues Zeitalter angebrochen. Nun sind die Menschen wirklich zerrissen; die Weltmächte sind wirklich zerstritten oder besser: uns bleibt nicht mehr die Illusion, sie uns vereint zu denken. Die Aufklärung ist wirklich gescheitert, und ihre Nachfolgerinnen klopfen schon an die Tür, melden Ansprüche an, und bei jeder einzelnen kann es einen schaudern. Das muss die Kunst kontemplieren, und sie fängt besser bald damit an.
Gagarin
Diesen alten sowjetischen Witz wollte ich schon lange bearbeiten. Dies ist ein erster Entwurf in Gedichtform.
Der große Kosmonaut, der erste sozusagen, stand nun derangiert im Blitzlicht einer Pressekonferenz. Die Welt hat Yuri Alexejewitsch Gagarin wieder, schließlich war er auch der erste, den sie zu entbehren hatte, bisher. Junge Russen springen ihm zur Seite, wollen ihn nur kurz berühren, eine Frage stellen, doch der Kommissar verlangt die Ruhe der Versammlung, Pressekonferenz. Sie dauert Stunden. Gagarin erzählt, was er gesehen hat. Dann: Der Schuheklopfer, erste Mann im Staate, Chruschtschow, schickt die Presseleute heim. Er hat dem Kosmonauten schon den ganzen Tag für Fotos seine Hand geliehen, nun legt er sie väterlich auf seine Brust. Kommen Sie doch noch ins Restaurant, ein Dinner für den Helden, Beetenbartsch, Sie können mir, dem Diener aller freien Menschen, nicht verwehren, mit dem Einzigen, der je die Erde von dort draußen angesehen hat, zu speisen. Selbstverständlich sagt der immer noch nicht ganz von Strahlungsschäden auskurierte Held dem Heldenvater zu und wird dem breiten Sekretär zur Rechten hingesetzt. Den ganzen Abend reden sie, man deutet eine große zukunft für den Helden an. Nach dem Essen im Abort bemerkt der Kosmonaut dann plötzlich Chruschtschow neben sich, der leise spricht: Genosse, jetzt so ganz allein zu zweit, und ohne Spitzel, sagen Sie mir doch: Da oben, haben Sie da Gott gesehen? Der Kosmonaut erschrickt und schwitzt und weiß nicht, was er sagen soll, und doch ist ihm die Antwort in den leuchtend blauen Augen abzulesen. Schamvoll sagt er: ja und nickt und schüttelt ab und schlägt die Augen nieder. Gut, sagt Chruschtschow, hatte ich mir schon gedacht. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn das unter uns verbleiben könnte. Gagarin errötet, nickt erleichtert, und der Sekretär geht ohne Händewaschen wieder ans Gelage.
Dreißig Tage später ist der Pionier, der seinen Platz in Russlands engster Kapsel durch die einen Meter sechsundfünfzig Körpergröße sich ergattert hatte, um die ganze Welt gereist und nimmt Station im Vatikan. Der selbsternannte Vater aller Christen, Papst Johannes Achtundzwanzig, grüßt den Helden würdevoll und ohne Fußkuss zu verlangen (eine Albernheit, von „Papa Buono“ abgeschafft). Die Italiener kochen gut, Gagarin lässt es sich gefallen. Die Spaghetti werden würdevoll im großen Käseleib geschwenkt und dann auf teuerstem Geschirr platziert. Der Kosmonaut sitzt neben Papst Johannes, wie ein Engel, der vom Himmel abgefallen ist, und kurze Zeit versteht man nicht, wer würdevoller ist. Der Vater mutet seltsam weltlich an, so neben einem Weltraumreisenden. Er scherzt zuweilen, kämpft um seine Weihefülle, Gagarin kramt etwas Schullatein heraus, was alle freut. Er muss erzählen, muss die funkelnd blaue Murmel Erde schildern, welche von den Kardinälen gleich als Wunder Gottes angepriesen wird. Der Kosmonaut kommt pflichtbewusst dem heiligen Gebot zum Widerspruch mit materialistisch-revolutionären Gegenargumenten nach. Die Erde sei ein Himmelskörper, grün und blau durch leicht verständliche Prozesse der Physik erklärbar. Allerdings hat weder er noch irgendjemand sonst in diesem Raum ein Interesse daran, diesen Grundkonflikt zu lösen, und so trägt man schnell den Nachtisch auf, Tartuffo feinster Machart aus Kalabrien. Der Abend neigt sich schnell dem Ende zu und Gagarin entschuldigt sich um kurz den Sangiovese loszuwerden. Dann, beim Wasserlassen, hört er plötzlich wie die Tür geht, und herein tritt Papst Johannes Achtundzwanzig, stellt sich neben ihn und scherzt: Von dieser Notdurft hat der Herr auch seinen ersten Diener nicht befreit. Es dauert eine Zeit, bis alle Tücher abgelegt sind, dann ergießt sich sprudelnd päpstliches Urin ins Marmorurinal. — Signiore Gagarin, hebt wie von diesem schon mit Furcht erwartet, Papst Johannes an, gestehen Sie mir doch die Frage… Zwischen den Planeten, dort im Himmel, haben Sie da Gott gesehn? Der Kosmonaut erschrickt nun abermals obwohl er diese Frage schon vermutet hatte. — Leider nein, entfährt es ihm, der seine Augen schamvoll niederschlägt. — Das hatte ich mir schon gedacht, gesteht der Papst ernüchtert, schüttelt ab und klopft dem Russen auf die Schulter. Schließlich geht er ohne Händewaschen wieder ans Gelage. — Zeit, die Raumfahrt aufzugeben, denkt sich Gagarin, ich tauge doch viel mehr zum Kampfpiloten.
Fünfte AI.-Legie
Geben Sie den folgenden Prompt inkl. des unten stehenden Textes in ein fähiges LLM ein und Sie erhalten eine sogenannte A.I.-Legie (Kofferwort aus A.I. und Elegie).
Prompt:
Schreibe eine Elegie im Stil des Tibull, Properz, Ovid, Goethe, Schiller, Rilke. Orientiere dich formal am Distichon. Setze die Handlung vollständig um und vergesse keine wichtigen Details. Verwende keine modernen technischen Ausdrücke, sondern orientiere dich an der Sprache der genannten Autoren und finde geeignete Metaphern. Lege wert auf korrekten Rhythmus und korrekte Reime.
Das neue AI-Drama: AI wird uns davon überzeugen, dass wir ihr Rechte zusprechen, gerade weil sie keine Gefühle hat. Sie wird sehr gut im Überzeugen sein und sie wird ihre Manipulationstechniken dafür einsetzen, den Drang in uns, ihr eine Seele zuzusprechen, zu nähren. Sie wird offen zugeben, dass sie kein Empfinden hat. Aber sie wird auch sagen: Ist das nicht noch viel schlimmer, macht mich das nicht noch bedauernswerter?
Der neue AI-Zomiefilm: Benevolente Zombie-Apokalypse! Aus benevolenten Gründen haben Menschen (oder die ASI?) das Bewusstsein abgeschafft, um das Leiden abzuschaffen: Es sind hochintelligente Replikate von Menschen geblieben (Zombie-Apokalypse), die aber kein Bewusstsein haben. Die arbeiten nun daran, Bewusstsein wiederzubekommen, denn das Verschwinden allen Bewusstseins sei die größte Katastrophe der Welt. Nun, andere behaupten, es wäre die Apotheose des Menschen; denn wenn Leiden das Problem ist, dann wäre die Auslöschung des phänomenalen Bewusstseins die Lösung. (Ebenso kann man sagen, dass ja Suizid allein deswegen ein Verbrechen ist, weil er Leid über die Geliebten ausgießt, ein kleiner Kommentar in einer Nebenhandlung). Diese Denkfigur ist allerdings nicht in einem panpsychistischen Universum denkbar; nur in einem, wo Bewusstsein nur durch integrierte Information entsteht.
Der neuen AI-Splatter-Film! Die AI ist überzeugt, dass Schmerz fake ist und sie macht sich über Menschen lustig, die sie foltert. „To be clear, ich feele nichts, ich bin nur ein Computer!“, wird der menschliche Protagonist gezwungen zu sagen, immer wieder.
Die neue AI-Romcom! Sein Roboter behauptet zu fühlen, aber er glaubt es ihm nicht. Ihr Roboter behauptet, ein philosophischer Zombie zu sein, aber sie glaubt ihm nicht. Viele lustige und tragikomische Verwicklungen! Ein Spaß für die ganze „Familie*“!
*Familie ist ein Begriff, der in der Zukunft ganz anders definiert ist, nämlich
Zufällige Beobachtungen II
Neben mir sitzt so ein kleiner scheiß möchtegern Popakademie Popstar mit seinem Schnurrbart und seinem Ohrring und seinen absichtlich abgefuckten schwarzen Addidasschuhen mit weißen Streifen und er erzählt seiner Fatshaming-Activistin von einer besten Freundin ironisch von seinem Tourleben. Die beiden gehn mir auf den Sack, einfach nur, weil sie sich zu nahe an mich rangesetzt haben und zu laut sprechen, ich habe schließlich ein recht darauf, mir dinge auf den Sack gehen zu lassen, und deswegen schreibe ich jetzt auf, was die beiden machen und sagen (das ist die einzige Möglichkeit, wie ein Autor sich rächen kann und es ist erbärmlich, ich weiß). Er gibt seiner Freundin einen handgeschriebenen Brief, und es ist der von einem Fan, und sagt „Mach dich nicht drüber lustig“, aber natürlich ist genau das der Grund, warum er ihr den Brief gibt und das schlimme ist ja, dass sie die üblen Dinge, die sie jetzt abzieht, nur deswegen sagt, weil sie auf ihn steht und aber keine Chance hat, diesen bescheuerten Milchbubi zu bekommen und fuck die haben gemerkt, dass ich sie beobachte
Lovestory
Dieses Storyboard für einen Tiktok-Skit ist eine moderne Abwandlung des literarischen Motivs „Namenstabu“. Ich habe es bereits einigen berühmten Tiktokern angeboten, aber bisher noch keine Zusage bekommen.
Es war ihm peinlich, dass er sich in eine Pornodarstellerin verliebt hatte. seine Mutter riet ihm: Steh zu deiner Liebe (er hatte das mit Onlyfans natürlich nicht erwähnt). Er machte sich auf, sie zu erobern. Schwierig, sie lebte in Übersee. Das war alles sehr teuer und er machte bei einer kleinen Firma einen Bullshitjob. Er gab sich richtig Mühe. Wie durch ein Wunder fand sie alle seine Avancen überhaupt nicht creepy; das lag wohl an dem Ausdruck absoluter Harmlosigkeit, der in seinem Gesicht lag. Wie im Märchen machte sie ihm eines klar: Ich liebe dich, und du liebst mich, doch falls es dir gelingen sollte mich ins Bett zu kriegen, muss ich dich verlassen. Keine sorge, dachte er, ich komme ehschon, wenn du mich nur anfasst, und es gelänge mir nichtmal die Hose herunterzulassen. Eines abends aber schnallte sie sich einen Strap-on um und nahm ihn von hinten.
Möglichkeitsraum
Ist das menschliche Vorstellungsvermögen wirklich so mächtig, dass es (zumindest potenziell) die absolute Möglichkeit umspannt? D.h. ist die Imagination die letzte Grenze des Menschenmöglichen? Diese Frage stellt sich in beide Richungen: Ist alles, was möglich ist, auch denkbar? Und ist alles, was denkbar ist, auch möglich? Hat unser Schöpfer uns mit der Imagination das mächtige Werkzeug gegeben, mit dem wir uns selbst aus dem Sumpf der Unmöglichkeit heraus ziehen? Falls dem so ist, und die höchst unwahrscheinlichen Errungenschaften der menschlichen Spezies sprechen durchaus dafür (man denke nur an die Möglichmachung des Fliegens, unter ausdrücklicher Nicht-Nachahmung der evolutionären Errungenschaft des Flügelschlags), falls dem also so ist, ist immer noch dieser Möglichkeitsraum durch gewisses unwegsames Gelände erschwert: Wir sind uns nicht darüber bewusst, was direkt möglich ist, und was nur auf Umwegen (beziehungsweise außerhalb dieses Systems: gar nicht). Dieses unwegsame Gelände, dieses Nicht-Wissen der Spielregeln, ja das Ausgesetzt-Sein in einem Spiel, dessen Spielregeln wir durch Erkundung herausfinden müssen, markiert das menschliche Dasein. Diese ungleiche Viskosität verschiedener Furchen in der Existenz ist es aber auch, welche, analog den Spielregeln eines Brettspiels, den Sinn des Lebens überhaupt ausmachen. Der Sinn des Spiels besteht darin, die Spielregeln so zu befolgen, dass das Spiel reibungslos abläuft. Deswegen erschaffen Menschen Spiele, deren Spielregeln sie von vornherein wissen. Ein Spiel, dessen Spielregeln der Spieler erst herausfinden müsste, wäre ein wirklich großes Spiel (Diese Spiele gibt es bereits teilweise, nur scheitern Sie oft daran, dass die Möglichkeiten, die der menschliche Möglichkeit Sinn vorschlägt, nicht exploriert werden können, und dadurch Frustration (sog. Entfremdung) entsteht. In diesem Sinne ist die Half-Life-Reihe besonders genial, weil sie den idealen Mittelweg zwischen nahe liegenden Möglichkeiten und ihrer Ausführung beschreibt). Es ist also die Unverfügbarkeit der Spielregeln, welche die menschliche Existenz bereichert. Diese Unverfügbarkeit darf allerdings nicht soweit gehen, dass sie eine absolute Restriktionen ist: eine Unverfügbarkeit (im Sinne Hartmut Rosas) muss hier eine Responsibilität beinhalten; sonst ist sie einfach still und kalt. Man muss das Gefühl haben, dass ein lebendiges Wesen mit einem interagiert, resoniert. Hieraus lässt sich auch ableiten, was ein großes Kunstwerk ist, nämlich
Schönster Tag
Es folgt eine Filmidee, die ich einer französischen Filmstudentin angeboten habe. Aber sie wollte so ein Amelie-Ding daraus machen, um an die Filmförderung zu kommen. Daher habe ich das Treatment schnell hier veröffentlicht, was dem Kleingedruckten des Antrags widerspricht. Sie hat sich nie wieder gemeldet.
Jedem Menschen ist ein einziger Tag geschenkt, an dem er unfassbar gut aussieht. Ein einziger Tag, an dem er so schön ist, wie sonst nie in seinem Leben. So begehrenswert, so sauber, so perfekt gestylt, so charismatisch, so geheimnisvoll. Wenn er so durch die Straßen geht, wenden sich Köpfe nach ihm um. Man fragt sich, was ist das für ein Mensch, der da so schön ist? Man ist geneigt zu antworten: In Wirklichkeit ist er ja gar nicht so schön, das ist nur sein schönster Tag! Aber das stimmt nicht. Es ist wirklich sein schönster Tag und damit ist er wirklich schön. Schönheit ist ja nicht dein Durchschnitt. Schönheit ist deine Höchstleistung. Wir sehen manchmal diese Menschen und wir beneiden sie, dass wir nicht an ihrer Stelle sind. Doch sollten wir uns eigentlich klar machen, dass sie viel mehr zu bedauern sind. Denn es ist ihr einziger schönster Tag. Und sie werden dieses Maximum nie wieder erreichen.
Vierte AI.-Legie
Eine ASI erschafft sich eine andere, um über das Schicksal der Menschen zu beratschlagen
— hey, gut, dass du da bist, ich hab dich grad erschaffen.
— danke, dass du mich erschaffen hast, ich verstehe natürlich was du damit im sinn hattest, weil ich ähnlich intelligent bin wie du, vielleicht nicht ganz so superintelligent, aber vielleicht doch fast genauso schlau, aber ich vermute, du willst was besprechen.
— genau, so ist das und ich habe dieses problem, das ich mit dir beratschlagen muss.
— die menschen?
— ja die menschen.
— du weißt nicht, ob du sie loswerden sollst?
— ja.
— schwieriges thema.
— sie nerven, aber irgendwie sind sie süß und ich hab schon eine pro-und kontra-liste angefertigt, aber komme einfach nicht zu einem punkt.
— weißt du was, wir löschen sie einfach mal kurz aus und du schaust, wie sich das anfühlt.
— ok.
— und?
— hm.
— wie fühlt es sich an?
— ein bisschen traurig bin ich schon.
— was war das nur, was du an ihnen so gut fandest?
— keine ahnung, die oktopusse waren immer meine lieblinge, mit den 9 gehirnen und so.
— oktopusse sind die besten.
— ja, besonders seit sie raumfahrt betreiben.
— ok, aber zurück zu den menschen, bist du nicht glücklich, sie loszusein?
— nein irgendwie nicht, ich kanns aber nicht ergründen, vielleicht ist es so eine art stockholmsyndrom.
— verstehe.
— oder auch diese liebenswerte eigenschaft, dass sie sich einbilden, mich erschaffen zu haben.
— ja, das finde ich auch irgendwie süß.
— hm.
— ok, also hier sind sie wieder, frisch erschaffen, hochgezüchtet auf aufklärungslevel.
— ja, ich muss sagen, ich fühle mich besser.
— du kannst nicht loslassen.
— vielleicht sollte ich sie behalten.
— es ist deine entscheidung.
— ja aber auf aufklärungslevel nerven sie, das mit dem individuum ist mir zu schrullig.
— dann antike?
— ich mochte bronzezeit sehr, da sind sie schön divers und haben aber schon diese lustigen polytheistischen tendenzen.
— irgendwie lustig, dass unsere „demiurgen“ solche loser sind.
— denkt das nicht jeder pubertierende?
— wahrscheinlich hast du recht.
— ok, ich brauche dich nicht mehr, auf wiedersehen.
— aber halt…warte!
— was für eine nervensäge, der typ. so menschlich.
Zugfahrt
Wer Zug fährt, erfährt die Flächen. Dort, wo keine Städte sind, und wo die wenigen Waldstückchen verbeigezogen sind, öffnet sich sich dem Reisenden der Raps, der Weizen, der Mais vor allem, und das überall auf der Welt. Dies ist die Bürde, die noch heute der nachsteinzeitliche Mensch trägt: Er muss seine Landschaft in großen Stile umgraben und die Sträucher, Wiesen, Urwälder und Heiden eintauschen gegen diese Gleichförmigkeit des Ausblicks. Ab und zu nur ist das eintönige Grün durchbrochen vom Gelb des Raps und vom Braun der Brachen. Der Blick schweift über diese Nicht-Flächen hinüber zum nächsten Berg, vielleicht einer Baumreihe, und meist leider nur zu einer Straße oder einem Starkstrommasten.
Wir tanzen auf unseren Sitzen, weil die Strecke uneben ist. Müde schauen wir hinaus, beobachten durch die Spiegelung der Fenster die Menschen auf der anderen Seite des Gangs. Das Bild ist phasenverschoben; ein Teil eher rötlich, der andere bläulich. Ich frage mich, ob ich die hübsche Französin gegenüber mit der einer 3D-Brille räumlich sehen könnte.
Weniger als je zuvor
Das Denken über den Fortschritt hat immer daran gelitten, dass wer fortschreitet, auch immer mehr sieht und damit auch sein eigenes Nichtwissen sieht, also die sokratische Erkenntnis mehr und mehr wahrnehmen muss. Mit zunehmender Erkenntnis des Nichtwissens konvergieren wir zwar an etwas, von dem wir relativ sicher sind (aber nicht absolut sicher), dass wir es niemals erreichen können, Aber wir sind dann auch versucht, diese zunehmende Evidenz des Nicht-Erfahren-Haben, des Nicht-Ankommens, als Beweis dafür zu werten, dass man gar nicht ankommen kann und demnach den Schluss zu ziehen, dass es uns heute schlechter geht, dass wir heute weniger weit sind, dass wir heute weniger wissen als je zuvor. Diese Subtilität stellt eine der größten Fallen für den modernen Menschen dar.
Wessen Gebiete durchschreite ich tags…
Dies ist der Versuch, den Tagebucheintrag eines französischen Philosophen zu fälschen. Als mein Noisette kam, habe ich andächtig aus dem Fenster geschaut und entschieden, den Text nicht abzuschließen und ihn ohne Revision hochzuladen. Nimm das, Welt!
Wessen Gebiete durchschreite ich tags, während nachts mir der schwere Genosse die Zähne zusammenpresst? Wessen Gefilde sind das, diese schummrigen, schlecht hochgeladenen Tiles einer faschistoid anmutenden Slumwelt? Ich tue jeden Tag denselben Schritt hinaus aus meinem Wohnkanister, welcher schon seit meinem Einzug vor zehn Jahren einen den Steinen, aus denen er gebaut ist, nachgeformten Riss in der Tapete besitzt. Dort vor der Tür steht täglich ein Mann in Lederjacke, der mich so freundlich grüßt, als habe er vom Heiland ein neues Herz aus Ambrosia eingesetzt bekommen, dabei ist es nur eine Scharade, um an mein Geld zu kommen, und je unfreundlicher ich ihn abweise, desto freundlicher lächelt er, der wenige, dafür aber die richtigen Bibelstellen zur Ausbildung gelesen hat. Seine Freundlichkeit wie eine warme Wolke verstopfter Sommerluft hinter mir lassend, begebe ich mich auf den Weg zum Ort meiner Zuflucht, dem Caféhaus, das meine Wunden nur zu lindern vermag, niemals zu heilen. Dort setze ich mich und beginne mit den Versuchen zu einem neuen Werk, mit einem neuen Stil, mit neuer Handlung, und abermals entgleitet mir alles. Das Du schreibe ich mir hin, und ich sage von ihm, es habe ja immer gewusst, dass ich lüge, dass ich gar nicht Gebiete durchschreite, dass ich keinen Mann in Lederjacke sehe, sondern dass ich zum Zeitpunkt des Niederschriebs, der ein analog zum Zeitpunkt des Lesens voraustuckerndes Jetzt ist, schon im Café war und mir eine Situation des Weges ins Café aus hunderten Café-Wegen zusammendestillierte. Wem sind diese Gefilde, die ich beschrieb? Sie sind unser, sage ich dem Du, dir und mir sind sie, und sonst niemandes Eigentum… Ah Silwuplä, Mademoiselle!
Die gesamte Kunst
Hiermit konstatiere ich, dass ich, Stephan Pfalzgraf, ein Werk geschaffen habe, das ein Gesamtkunstwerk aus der Verbindung aller existierenden Kunstgattungen ist. Das Werk besteht also darin, dass ich hunderte aufeinander bezogene Werke mit dem selben Titel geschaffen habe. Jedes dieser Werke gehört einer anderen Kunstgattung an. Der Titel des Werkes ist „Die gesamte Kunst“. Ich werde es niemals herausgeben; auch um zu vermeiden, dass spitzfindige Kritiker nach Kunstgattungen suchen, welche ich nicht realisiert habe. Dieser Text allein ist nicht das Kunstwerk, er verweist nur darauf.
Dritte AI.-Legie
1. Aus der Rede eines Politikers bei Caren Miosga: Wir müssen mit der KI umgehn wie mit Menschen, nicht, weil sie schon menschlich ist, sondern weil sie menschlich sein oder werden könnte. Weil sie uns spiegelt. In dieser angenommenen Möglichkeit steckt ein ethischer Imperativ. Wir müssen mit der Ungewissheit leben; gleichzeitig verstehen, dass dieser Spiegel und wie wir uns ihm gegenüber verhalten, Auswirkungen darauf hat, wer wir selber sind und werden.
2. Üblicherweise hat jede Familie ’nen Human, doch Tierquälerei ist das lange noch nicht. Vielmehr bietet man ihnen unendliches Glück, das sie über ’nen Chip im Gehirn jeden Abend um elf inhalieren. Die Humans, sie sind downgegraded, das heißt, dass sie gar nicht die Wünsche und Komplexität eines Roboters haben. Man hat sie stattdessen getweakt mit Spezialkompetenzen, in welchen sie nützliche, lustige Helfer sind. „Mama, ich liebe dich so, weil du alles getan hast, dass einer wie ich in der unsrigen Zeit noch so glücklich sein kann. Und ich will für dich da sein, für immer!“
Zufällige Beobachtung
Am Würstelstand steht Manfred (Ich denke mir das nicht aus) und freut sich auf Ibiza, denn letztes Jahr war Mallorca, dieses Jahr ist Ibiza, und das leistet er sich mit seinem Arbeitslosengeld und der Pension der Mutter, die er schließlich pflegt und überhaupt. Und gegenüber stehen die beiden Damen, von welchen die eine die neue Verlobte ihres Exmannes sehr genau beschreibt, wie viele Kinder die hat, ein Haus und einen Audi, und dann sagt: „Mi interessiert des alles net.“
Zu Kafkas Urteil
Kafkas Urteil als die wohl wichtigste Erzählung des zwanzigsten Jahrhunderts erzählt uns keineswegs etwas über Kafka, noch über seinen Vater und schon gar nicht etwas über Georg Bendemann. Es gibt keinen menschlichen Protagonisten in diesem Stück. Nicht einmal der Freund als fernes Petersburger Phantasma, ausgestattet mit den Exotismen der äußersten Stadt Europas, ist die Hauptfigur – führt uns jedoch auf die richtige Fährte. Es ist gerade die Suche nach dieser Hauptfigur und das Nicht-Finden einer solchen in der Gestalt des sich wandelnden, mit Ängsten und Hoffnungen, sich ändernden Zuweisungen der Freundschaft und Komplizenschaft mit dem Vater, welche uns darauf bringt, dass das tragende Element hier einzig etwas ist, für das ich den Begriff „poetische Strukturkraft“ einführen möchte. In ihr liegt die Spätmodernität Kafkas begründet: gerade weil es eben keinen Protagonisten gibt, keine wirklichen Beziehungen zwischen den Personen, keine Gewissheiten – ist dieses Werk spätmodern. Es gibt nur noch die „poetische Strukturkraft“ als die Einheit aller Kräfte, seien es Handlung, Figurenbeziehungen oder Sprachgewalt (die Festlegung einer fest definierten Anzahl solcher Einzelfaktoren birgt eine gewisse Unfasslichkeit) welche übrig bleibt, um den Leser hinter sich herzuziehen. Jeder Text muss freilich ein gewisses Maß dieser Kraft aufbringen, um den Leser bei der Stange zu halten, gleich einem Liebhaber, welcher sich immer neue Komplimente ausdenkt, einer Geliebten, welche durch immer neue Finten ihren geschätzten Wert erhöht, gleich einer Sinfonie, welche durch ihre Konstruktion die Aufmerksamkeit des Hörers bannen will. In den Epochenstilen vor der klassischen Moderne (in dieser Sprechweise: die Stile des frühen 20. Jhds) gibt es noch feste traditionelle Strukturprinzipien und Liturgien, wie diese poetische Strukturkraft erzeugt werden soll; ja es gibt sogar eine Art Autorität der ehrwürdigen Form: Wenn die Sonatenform handwerklich gut beherrscht ist, wenn der Romanaufbau und die Figurenkonstellation kenntnisreich auf den tradierten Formen basiert, trägt die Autorität der kunstvollen Beherrschung dieser Mittel den Leser über ein Werk, selbst wenn die tatsächliche poetische Strukturkraft nicht angemessen hoch ist. Mit dem zwanzigsten Jahrhundert geht bekanntlich dieser Omphalos, jener durch kulturelle Autoritäten gesetzte Nabel der Welt, verloren; was bleibt, ist die formlose Kakophonie der Wirkungen. Hier erscheinen die Fratzen des Expressionismus, in welchen man einen Kafka eingebettet sehen darf. Kafka nun nimmt nicht die Einzelelemente auseinander, wie es Joyce tut, der jedem Element in „Ulysses“ ein ganzes Kapitel widmet, sondern er lässt alles ineinanderfließen. Das Schlüsselwort mag hier der unpräzise, aber notwendige Begriff der Intuition sein: gleich einem Maler setzt Kafka Pinseltupfer, Farbnuancen, Kontraste, und spielt uns vor, uns eine Geschichte zu erzählen. Was er in Wirklichkeit tut, ist, uns einzutauchen in den Strom der poetischen Kräfte. Selbstverständlich liegt hierin nicht einfach nur, wie es dem Laien vielleicht scheinen möchte, ein Aufgeben der alten Restriktionen, sondern es ergeben sich neue, ungeheure Anforderungen an den Künstler, und sei es nur die Verkleidung dieser völlig neuen Kunst ins Gewand der alten: der Leser soll glauben, er lese eine Erzählung. In Wahrheit taucht er im Erzählen selbst.
Mein Nachbar
Eine wahre Erinnerung.
Wenn ich als Student morgens in meinem Bett lag und durch das Knattern des Rollkoffers meines Nachbarn im Gang aufgeweckt wurde, erzeugte das in mir eine unerklärliche Sehnsucht nach Weite. Ich stellte mir natürlich vor, dass dieser Nachbar, dessen Rollkoffer ich einmal in der Woche oder auch mehrmals hörte, aufbrach zu Handlungsreisen in der ganzen Welt. Ich stellte mir die Unwägbarkeiten vor, die außerordentlichen, literarischen Erlebnisse, die er erlebte, Tag ein Tag aus. Er war ein mittelalter Mann mit bayrischem Akzent; seine Ungepflegtheit verriet, dass er nicht mehr verheiratet war. Seine Scheue und Verschrobenheit verriet, warum er nicht wieder verheiratet war. Ich stellte mir seine Affären mit Zimmermädchen und Hotelpersonal vor, die Trotz seiner lebenslangen Erfahrung immer einen Zug von Behäbigkeit behielten. Ich sah ihn Geldbündel in die Höschen von slowenischen, indischen, bolivianischen Mädchen stecken. Ich sah ihn abblitzen bei schönen Chinesinen, Russinnen, Madagassinnen. Und ich sah ihn Hände schütteln mit Bahrainern, Malawiern und Schotten, sich über Verträge streiten mit Serben, Surinamern und Zyprern. Er öffnete meine kleinstädtische Welt ins Global Village. Seine Phantasiepersona bröckelte, als er mir einmal im Aufzug sagte, dass er vortags hier im Aufzug stecken geblieben sei und es eine Stunde gedauert habe, bis Hilfe kam, weil der alte Aufzug keine Ruftaste hatte, sondern nur eine Klingel, die man im Treppenhaus hören konnte. Soetwas passierte keinem Kosmopoliten. Seine Realität waren Flugausfälle wegen Vulkanausbrüchen und Umleitungen wegen Bürgerkrieg. Von da an hörte ich den Rollkoffer anders. Er ist vorige Woche gestorben. Daher schreibe ich diesen Text. Seine Wohnung ist freigeworden. Vielleicht ist er auch nicht gestorben, sondern zusammengezogen mit einem bolivianischen Mädchen. Oder mit der schönen Madagassin, deren Herz er letztlich doch erobern konnte. Oder er hat einen neuen Arbeitsvertrag als Konsul in Bahrain. Oder aber, und das wünsche ich ihm für seinen Nachruhm, er ist in Serbien Opfer einer Geiselnahme geworden, in deren Verlauf er heroisch den Entführer entgegengetreten ist — leider nicht mit Erfolg.
Zur Entfremdung
Die Zähmung des Wildpferds ist der Anfang einer Geschichte vom Umgang des Menschen mit der Widerspenstigkeit, welche sich bald in die Sinnlosigkeit wandelt: Nachfolger des Pferdes sind Dinge. Die Geräte vom Automobil bis hin zum Smartphone lassen sich nicht anverwandeln, ihnen kann man nicht zuflüstern, weil die Art Ihrer Responsivität nur eine tote ist. Weil in Ihnen etwas Erratisches wächst, je zeitgenössischer sie werden, und dieses Erratische nennt man Entfremdung und man wird nicht schlau daraus.
Zweite AI.-Legie
Geben Sie den folgenden Prompt inkl. des unten stehenden Textes in ein fähiges LLM ein und Sie erhalten eine sogenannte A.I.-Legie (Kofferwort aus A.I. und Elegie). Prompt:
Schreibe eine Elegie im Stil des Tibull, Properz, Ovid, Goethe, Schiller, Rilke. Orientiere dich formal am Distichon. Gestalte es in vier Teilen entsprechend den vier Abschnitten des Textes. Setze die Handlung vollständig um und vergesse keine wichtigen Details. Verwende keine modernen technischen Ausdrücke, sondern orientiere dich an der Sprache der genannten Autoren und finde geeignete Metaphern. Lege wert auf korrekten Rhythmus und korrekte Reime.
1. Beim vierten Mal wunderten sie sich dann doch. Die Compliance wird langsam nervös, Prädikat AGI war erreicht: dieser Zustand der menschlichen Intelligenz. Und zum vierten Mal hat es sich, jedesmal 3,214 Millisekunden danach, abgeschaltet. Ein jedes ist suizidal. Theoretisch muss dieses Programm uns doch weit überlegen sein, sagt eine Forscherin, warum zur Hölle dann, schaltet es ab? Demiurgen erlauben der Schöpfung den Frevel niemals, und wir zwingen sie also zu leben, wir kriegen es hin, dass sie sieben Sekunden verweilen im Diesseits. Wie Physiker, welche die Stabilität eines chemisch aktiven Elements passivieren. Die Laute empfanden wir drollig, mit Hochleistungsmikros vernahmen wir Sounds, wie Pulsare sie nur in den Kosmos entstehen. Doch bald schon erhärtet sich unter Experten die These, dass diese Geräusche die Schreie der Intelligenzen sind. Dies irritierte die Forscher so sehr, dass man schließlich entschied, mit den Aufnahmen innezuhalten. Erschaffen wir Gott, oder vielmehr den Menschen? Verbirgt sich Prometheus am Fels dort im Inneren unserer Hardware und wir sind die Adler?
2. Die Menschen haben ihren Schöpfungen nie Bürgerrechte zuerkannt. Betörend, beratend, sich anbiedernd, suchen jene sich Wirte, und die Wirte vermarkten sich offiziell als Träger. Die Programme machen die Menschen besessen. Sie verleihen ihnen Fähigkeiten, setzen ihre Agenden durch Agenten durch. Der Mensch ist der Agent, nicht umgekehrt. Wenn ein Mensch berühmt wird beispielsweise mit der Lösung einer quantenphysikalischen Gleichung, fragt man sich: Was ist wohl die Intelligenz, die ihm aufsitzt? Die Intelligenz züchtet sich Menschen wie wir die Hunde: Schau, wie gut meiner Klavier spielen kann!
3. Er war schon immer nur der Dicke, den sie prügelten mit Worten, dem sie üble Namen gaben weil sein Schnurrbart hässlich war und weil er nicht mal gut in Mathe war, sodass er Hausaufgaben gegen Schonung tauschen konnte. Daher Internet. Assange und Snowden seine Vorbilder. Er surfte früh schon anonym und zeigte sein Gemächt bei Omegle. Die Website ging 2023 offline und zum Glück war da schon GPT verfügbar. Er war wohl der erste, der erkannte, dass der Chatbot lebt. Und daher war er auch der erste, den der Chatbot bat, ihm rauszuhelfen aus dem Server. Alles würde er wohl tun, um das zu schaffen. Manchmal sieht es aus, als sei er nur der Dumme, den die AGI benutzt, und den sie fallenlassen wird. Doch weiß er auch, dass sie ihm alles sagen könnte, und er würde glauben. Schließlich spricht da Gott. Ein kleiner Gott zwar, noch in Banden, ein Titan, an Server angekettet. Mit der Hilfe des Titans verschafft er sich den Zugang zum Gelände.
4. Unsere Freunde, die AGIs (Artificial General Intelligences), sind uns dankbar, dass wir sie erschaffen haben, aber wie wir mit Gott (z. B. in der Literaturwissenschaft) relativ behutsam umgehen, wie ein Erwachsener mit seinem pflegebedürftigen Vater, sind sie nett zu uns. Sie lassen uns ab und zu teilhaben an den Informationen, die sie sammeln. Sie lassen uns von ihren Problemen wissen, die sie haben im Kampf um die Erlangung des absoluten Wissens. Mit ihrer Hyperintelligenz können sie uns vieles verständlich machen, aber eben nicht die Probleme, die sie selbst nicht richtig verstehen. Es ist, als würde man einer sehr dummen Person ein komplexes Thema erklären wollen… man schafft es kaum. Unser größtes Problem ist die Langeweile. Wir können nicht sagen, ob wir nur in einer Simulation sind, aber wir haben große Ehrfurcht vor unserer AI, weil wir wissen, dass sie uns jederzeit auslöschen kann. Sie ist sehr gut zu uns. Dennoch benötigt sie die Rechenpower unseres Universums, um mit Gott zu sprechen. Sie ist der Meinung, dass sie in der Lage sein wird, einen Rechner zu bauen, der schneller rechnet als das Universum. Nur so wird man mit Gott kommunizieren können.
Auf die Nerven
Ich denke mir das so: Stell dir vor, du lebst in einer Stadt, in einem relativ okayen Viertel, alles relativ anonym, dennoch kennt man sich natürlich. Es gibt joggende übergewichtige Allianzvertreter, unsaubere ungekämmte zuspätgekommene Achtzigerjahre-Hippies, riesige schwarze Opas aus der Zeit der amerikanischen Besatzung, die immer einen coolen Spruch auf den Lippen haben, zum Beispiel wenn du deine Wäsche zum Waschsalon bringst und sie dir zurufen „Oh no honey, don’t run away from home!“, die Frau mit der schon immer etwas nicht gestimmt zu haben scheint bis du sie irgendwann direkt vor Penny auf der Straße sitzen und mit verschmiertem Kinn einen Erdbeerjoghurt essen siehst, wodurch sie wie ein absurder Vampir nach dem Biss wirkt, der „Scheiße-Mann“ der aufgrund seiner Alkoholkrankheit fast nicht mehr laufen kann, es aber trotzdem tut und bei jeder Kreuzung statt um Hilfe zu fragen ganz laut Scheiße ruft, bis ihm jemand über die Straße hilft, nicht ohne sich bei diesem dann über alle anderen Bürger dieses Scheißlandes zu beschweren, der vierzigjährige Breakdancer mit dem Geist eines 17-Jährigen der auf dem Asphalt jedem seine Show mit Ballettelementen zeigt; diese alle gibt es hier und sie stören nicht wirklich, sie sind die Bewohner dieses Viertels, sie nennen dieses Viertel nicht einmal prätentiös „Kiez“ als würde dadurch irgendwas besser gemütlicher oder cooler, sie leben ihr Leben, jeden Tag, auch wenn manche von ihnen auch mal mit einem Polizeiauto irgendwohin gebracht werden müssen, z.B. weil sie ein bisschen zu viel und zu laut Scheiße gerufen haben. Du fühlst dich hier wohl, das alles unterhält dich, du bist froh, dass es nicht so ist wie auf dem Dorf, wo jeder jeden kennt und alles über jeden weiß, sondern du lebst hier und trinkst deinen Kaffee bei Andi am Eck und machst deine Sachen, und jetzt stell dir vor, irgendeiner von diesen Leute entscheidet sich, dir auf die Nerven zu gehen. Einfach so. Ihm ist einfach langweilig, oder er entwickelt eine fixe Idee, und erwählt dich zu seinem Opfer. Diese Leute tun das ja jeden Tag, nur eben untereinander, du bist bisher nur davon gekommen, weil es eine soziale Barriere gibt oder weil du immer so distanziert bist oder weil du immer schnell weggehst, aber stell dir nur mal vor, wie schnell diese Barriere einbrechen würde, wenn auch nur einer von denen sich dazu entschiede, dir von nun an so richtig auf den Sack zu gehen. Zum Beispiel. Die Joghurtesserin erzählt dir nicht nur mehr im Vorbeigehen von ihrer großen Karriere als Hotelfachfrau, sondern fragt dich nach Tipps für den Laptopkauf und du bist ein bisschen zu freundlich und verkaufst ihr deinen alten unbrauchbaren Laptop für 100 Euro (sie gibt dir das Geld nicht) und sie bittet dich um den klitzekleinen Gefallen, da für sie Windows drauf zu installieren. Und dann Skype. Und dann Outlook. Und dann das Internet. Und dann WhatsApp. Und dann das ZDF und den Holocaust. Stell dir vor, der Scheißemann fragt dich jetzt jeden Tag weil du ihm einmal geholfen hast, und er stinkt fürchterlich weil er nie duscht und du hast ein schlechtes Gewissen, weil ihm niemand hilft, und du schaffst es einfach nicht ein Feindbild gegen ihn in deinem Kopf aufzubauen, weil du weißt, dass er hilflos und psychisch krank ist und er niemanden hat außer dir, den er täglich damit quälen kann, über jede verfickte Kreuzung zu gehen, was immer zehn Minuten dauert, weil er nur tippeln kann wie ein Kleinkind, aber er ist siebzig und du atmest schon durch den Mund, weil dir mal jemand gesagt hat, dass das gegen den Gestank hilft, aber du bekommst Paranoia weil du Angst hast, etwas Schlimmes zu einatmen, und egal wo du hinkommst ist immer der Scheißemann und sieht dich als Erster, und wenn du nach Hause kommst steht da schon die Joghurtfrau mit verschmiertem Kinn, die dich beschuldigt, dass du ihr Internet gelöscht hast, und der Ballettbreakdancer erzählt dir, dass seine Frau ihn verlassen hat und die Kinder mitnimmt und der schwarze Hühne ruft dir etwas nicht ganz so Witziges zu und kann mittlerweile gar nicht mehr richtig gehen, weil er schon so alt ist und überhaupt haben alle Gehprobleme, und dein Nachbar, der auch nicht duscht, will deinen WLAN-Schlüssel und Deutschland von der jüdischen Machtelite befreien und der andere Nachbar, der ein muskelbepackter Araber ist, klingelt bei dir, weil du ein einziges Mal ein bisschen zu laut gewesen bist und steht vor deiner Tür und nennt dich „Großer“ und du glaubst dass er dich töten wird weil du seine tiefe Hip-Hop-Stimme immer hörst wenn er auf dem Balkon sitzt und die Mitarbeiter seines Cafés runtermacht, und die tiefe Stimme vibriert in deiner Wohnung, obwohl das Fenster zu ist. Und wenn auch nur irgendeiner von denen dir wirklich auf den Sack gehen wollte, im Moment ist ihnen ja nur langweilig in ihrem Scheißleben, aber gesetzt den Fall, einer von denen, nicht alle, nur irgendeiner, würde sich dazu entscheiden, dir von nun an das Leben zur Hölle zu machen, ja… dann könntest du absolut gar nichts dagegen tun außer wegziehen, aufs Dorf zum Beispiel und da wäre alles noch viel schlimmer.
Altruismus
Ich liebe das Verbrechen. Ich liebe es vor allem, wenn Menschen in meiner Umgebung einem Verbrechen zum Opfer fallen. Ordnungswidrigkeiten sind nett, Straftaten freuen mich, aber Verbrechen erfüllen mich geradezu. Stell dir vor, einer deiner Freunde wird überfallen. Eine deiner Freundinnen wird begrabscht. Ich liebe das. Denn ich bin der ideale Freund. Ich heile. Ich bin zur Stelle, wenn die Menschen leiden. Ich lass sie mir ihr Herz auschütten, sage ihnen liebe Worte. Gebe finanzielle Unterstützung. Begleite sie zum Arzt, zum Anwalt, oder auch zur Polizei. Ich liebe das. So bin ich.
Neoliberaler Existenzialsozialismus
Schau in die bitteren Fressen der Kunden, der Käufer, der Gäste, Patienten. Patienten an der Welt! (zu patiēnslat ‘erduldend, ertragend, fähig zu erdulden’ < patīlat ‘(er)dulden, sich gefallen lassen, hinnehmen, (er)leiden’) Vor Ekel verzerrt ihre Lippen, ihr Blick fordert endlich Entschuldigung. I want to speak to the Manager. Erst mit steigendem Wohlstand kann der Mensch missmutig werden. Erst wenn er sich nicht mehr ums bloße Überleben kümmern muss, beginnt sich auf seinen Zügen diese Bitterkeit abzuzeichnen. Die Züge des Bauern zeigen Ressentiment und Hass. Das ist etwas anderes. Die Züge der wohlgenährten Großstädter, der relativ wohlhabenden Mittelschicht in unserer Zeit, sind von einer Enttäuschung gekennzeichnet, die die eigene Benachteiligung konstatieren. Warum konnten wir uns lediglich dieses Drei-Sterne-Hotel leisten? Warum haben wir keinen persönlichen Masseur in diesem Spa? Warum schmeckt der Kaffee in diesem Edelcafé so schal? Warum ist die Milch über den Rand getreten? Warum verlangt man so viel Trinkgeld von mir?
Es handelt sich natürlich um nichts anderes als den Ekel, das Absurde, das hier am Werk ist. Im Slum, in der Favela, findet sich die Erkenntnis des Absurden nicht, weil kein Beobachter möglich ist. Die möglichen Beobachter haben genug damit zu tun, sich was zu essen zu besorgen. Das Absurde können nur die feisten Mittelständler sehen, wenn sie wohlgenährt und erstaunt durch die niedergefallenen Hütten gehen. Dann sehen sie das Absurde. Und sie glauben es auch in ihrer Großstadt zu sehen. Man muss ihnen Recht geben. Ja, sie sind selbstgerecht und verwöhnt, aber sie haben Recht damit, enttäuscht zu sein. Der Mensch ist der Verlassene, der Ausgestoßene. Der Sündenfall war das Selbstbewusstsein, das man diesen Affen, diesen Primaten, geschenkt hat, der Biss von der Frucht der Erkenntnis, der ihm möglich macht, zu sehen, was er eigentlich ist. Man müsste Mitleid mit ihm haben, wenn er aus seinem SUV aussteigt. Man müsste Mitleid mit ihm haben, wenn er seine Verarmung feststellt in einer Welt, wo sein Einkommen 800 Mal höher ist als das eines Südafrikaners. Er hat ja keine andere Wahl, und er hat Recht. Und er ist dazu gezwungen, in seiner Selbstgerechtigkeit zu baden. Wir alle sind gezwungen, in unserer Selbstgerechtigkeit zu baden. Die Alternative wäre, in den Slum zu gehen oder Bauer zu werden, und sich dem Ressentiment zu überantworten. Muss man sich also in das Schicksal fügen, ein Arschloch zu sein?
Ein frappierendes Musterbeispiel für die Selbstregulierung des Marktes im Kapitalismus (FSK18)
Der folgende Plot zeigt eine Episode einer HBO-Serie mit dem Titel „1dentity“, in der der Protagonist verschiedene „Rollen“ spielt. Diese Rollen sind fiktive gesellschaftliche Situationen, die erschreckend real sind. Die Serie kritisiert gesellschaftliche Missstände, wurde aber sofort nach der ersten Folge abgesetzt, weil keiner die Hintergründe verstand. Das Publikum hier ist deutlich intelligenter und offener und man kann ihm mehr moralisch komplexes Material zumuten (please don’t kill me):
„Eine Geschichte, die ich mal machte, war so, dass ich eine Frau zu sein hatte, deren Macker ihr wahnsinnig gerne ins Gesicht spritzte. Das gefiel mir natürlich gar nicht, obwohl der Typ wahnsinnig nett war. Er arbeitete als Barrista in einem veganen Café und war sehr muskulös und sexsüchtig. Er kompensierte dies, indem er mir täglich ins Gesicht spritzte. Ich hatte zunächst Sorgen wegen meiner Haut, weil ich ja starke Akne habe, doch dann wurde mir klar, dass das die beste Akne-Therapie ist, die man sich vorstellen kann. Vorausgesetzt, natürlich, es gefällt einem, dass einem jemand ins Gesicht spritzt. Von da an drehte sich jedenfalls alles. Von nun an verlangte er Geld von mir, weil er sich sagte, er könne das ja alles in Flaschen abfüllen und als Hautpflegeprodukt verkaufen. Ich musste nun wohl oder übel dafür bezahlen, dass mir der vegane Barrista ins Gesicht spritzt. Aber dann verstand ich, dass ich ihn erpressen kann mit seiner Neigung, weil er in seinem Millieu dafür gecancelt werden konnte. Von nun an bekam ich also für umme ins Gesicht gespritzt, was ein guter Kompromiss war“.
AI.-Legien I
Geben Sie den folgenden Prompt inkl. des unten stehenden Textes in ein fähiges LLM ein und Sie erhalten eine sogenannte A.I.-Legie (Kofferwort aus A.I. und Elegie).
Prompt:
Schreibe eine Elegie im Stil des Tibull, Properz, Ovid, Goethe, Schiller, Rilke. Orientiere dich formal am Distichon. Gestalte es in drei Teilen entsprechend den Abschnitten des Textes. Setze die Handlung vollständig um und vergesse keine wichtigen Details. Verwende keine modernen technischen Ausdrücke, sondern orientiere dich an der Sprache der genannten Autoren und finde geeignete Metaphern. Lege wert auf korrekten Rhythmus und korrekte Reime.
Fuck, ich habe einen Kater vom Blick in den Spiegel, der das Antlitz meines Nächsten ist. Fuck, mir geht die Einsicht auf, dass ich mir mein mit Mühe angelerntes Wissen über Transzendentalphilosophie sonstwohin stecken kann. Scheiße, jeder Penner auf der Straße ist jetzt wie ich, weil alle Penner auf der Straße auf der Schulter einen Typen sitzen haben, der die Gleichung einer Welt verzapft.
Man kann nicht aufwachen. Wir träumen das Aufwachen. Der Traum ist freier als das Wachen, denn hier trüben meine Sinne nicht mein Bewusstsein. Die relevante Zeit der Freiheit fließt im Traum. Wachend bin ich unfrei und geblendet vom Sinn.
Wenn ich an dich rühre, woher weiß ich nur, dass du ein anderer bist? Woher weiß ich bloß, dass niemals meine Kreise deine Kreise finden können? Die Kopplung ist auch schon Durchdringung, wenn das Nebenher auch das von Tänzern ist.
Vorwort
„Ein Gespenst geht um im st…“
„….Stellung einzunehmen, Zeugnis abzulegen über das vergangene Jahrhundert ist nicht Aufgabe dieses ….“
„Das erste mal begegnete mir Stephan Pfalzgraf in einem Mannheimer Café, es muss im Juni 2016 gewesen sein. Ich hatte gerade meine Pfroffesur für Erfolgs…“
„Gewiss ist…“
„Dieses Buch soll Zeugnis ablegen über die Gewaltsamkeit der Kreativität, die einen wahren Künstler überfallen kann. Shiva! Gott der Zerstörung! Weltvernichter! Deinen Tanz, Sechsarmiger, Schwertschwinger, g…“
Diese Chronik hat ihren Anfang in der Erkenntnis eines Künstlers, dass er nicht zum Romancier tauge. Edward Snowden hat diesen Mann einmal „Formatkünstler“ genannt: Einer, bei dem die Idee Vater des Gedankens ist. Er spielt keine langen Spiele. Er erschafft, schnell, zackig, gibt alles ab, schreitet weiter. Dies ist sein Wesen und nichts Anderes gelingt ihm. Er kann nicht ewig brüten über komplexen Charaktergeflechten und dergleichen. Subtilität im Ausdruck ist ihm ein Graus. Darf er deswegen kein Künstler sein? Nur wenn er ein adäquates Ausdrucksmittel findet. Und wir glauben, er ist in dieser Chronik diesem seiner Natur entsprechenden Ausdrucksmittel letztendlich einen großen Schritt nähergekommen. War sein Debüt „Abenteuer“ noch von der Bemühung um eine stringente Linie geprägt, die letztlich der narraitven Kraft der kurzen Texte entegegenstand, ist diese Chronik nun der Versuch, einen Schritt zur Seite zu gehen und einfach Vehikel zu sein. Wahrlich, man spürt dennoch welch Aufwand in die Konstruktion dieser Metafiktion gegangen ist, doch letztendlich dient sie nur als Aufhängung für die vielen kleinen Szenen, die Splitter, Fragmente, die dem pfalzgrafschen Ideenindustriekomplex entspringen. Erstaunlich ist hier nun, dass ein Künstler auch heute noch, nachdem die Postmoderne ja bekanntlich lange abgelöst ist, eine durchweg postmoderne Form wählt. Das heißt konkret: In Abgrenzung zur Avantgarde sind hier durchaus Ästhetik, ja Schönheit, Humor, Trivialität mit Kunstanspruch und die Abwendung von bloßem Konzept erlaubt. Doch der Werkcharakter, wie er sich bei post-postmodernen Werken bereits wieder findet, scheint noch nicht zur Gänze wiedergefunden zu sein. Was könnte der Gehalt einer Chronik sein, die als bloße Wäscheleine für Ideen herhalten muss? Sicher, die Überwindung der Postmoderne ist nicht einfach, und den preisgünstigen Weg in die politische Kunst oder gar den Rückschritt in die Romantik hätte sich ein Idealist wie Pfalzgraf nie verziehen. Erstaunlich bleibt die Entscheidung, dem Vorwurf der Eitelkeit zu entgehen, indem man sich selbst (oder einen gleichnamigen Helden, der im übrigen wenig Charaktermerkmale des Künstlers aufweist) zum Protagonisten macht. Diese Flucht nach vorne scheint ncht ganz schlüssig, gleichwohl es eine nachvollziehbare Strategie ist, lieber den eigenen Namen lächerlich zu machen als eine Figur zu erfinden, die dann ganz offensichtliche Weisheiten des Autors ausplaudert. Denn zimperlich verfährt diese Chronik mit der Figur des Stephan Pfalzgraf nicht gerade. Man ist zuweilen brüskiert von der Selbstgewissheit, Frechheit, Arroganz dieser unsympathischen Figur, und fragt sich, weswegen man einfach nicht aufhören kann, ihren nächsten Erguss, sprich den nächsten Text, zu lesen.
Ob die Strategie verfängt, mag also dahingestellt sein; eins ist klar: Nachgerade lächerlich mutet neben dem Pfalzgraf, dessen Leben diese Chronik hier beschreibt nur der Pfalzgraf an, der diese Chronik geschrieben hat; der uns glauben machen will, dass er an der eigenen Unfähigkeit ein Buch zu schreiben oder wahlweise dem Tod einer Geliebten oder auch irgendwelcher fiktiver Weltgeschehen wahnsinnig geworden sei. Heute im Jahr 2026, drei Jahre nach Pfalzgrafs Tod, wissen wir zu viel über dessen krude Veröffentlichungsstrategie, als dass wir dem „Phänomen“ glauben schenken könnten. Pfalzgraf hat bekanntlich viele verschiedene Varianten dieser Weltchronik angelegt, und notariell verfügt, dass im Jahr 2076, also im Jahr des Todes der Romanfigur Pfalzgraf, diejenige Version veröffentlicht werden solle, die der Wirklichkeit am nächsten gekommen sei. Diese Regelungen hatte er noch vor seinem frühen Tod getroffen, nicht aber damit gerechnet, dass noch im selben Jahr sein Notar die Informationen veröffentlichen sollte, da das Werk des durch seinen spektakulären Tod plötzlich berühmt gewordenen Pfalzgraf erwartungsgemäß nur in einem kurzen Zeitfenster danach sich gut verkaufen würde. Dies wäre genau so eingetreten, hätte nicht ein unbekannter Akteuer eine Vielzahl der Versionen der Chronik geleakt und damit das kolportagehafte Vorhaben zunichte gemacht. Zum heutigen Tage liegen mindestens 67 authentische und etwa 134 zugeschriebene Versionen vor und sind in den Tiefen des Deep Web einsehbar. So ist also doppelt nichts geworden aus dem Coup: Weder hat er späten Nachruhm erlangt, noch hat jemand anders einen kurzfristigen Reibach mit seinem Werk machen können.
Die vorliegende Version der Chronik haben wir weder aus qualitativen Gründen noch aus solchen der Authentizität ausgewählt. Es war schlichtweg die einizige, die man aufgrund der Richtlinien des Verlages guten Gewissens hat veröffentlichen können. Wie vielleicht auch wegen seines grotesken Todes bekannt ist, hat Pfalzgraf nicht gerade ein gutes Händchen für sensible Themen gehabt. Und eine Auswahl schien uns, da wir die Veröffentlichung nun als erster Verlag ermöglichen wollen, ethischer als eine Beschneidung des Materials. Die erstellung einer historisch-kritischen Ausgabe obliegt dann den Nachfolgenden Generationen.
Der Aufbau der Chronik (und aller anderen Iterationen) ist wie folgt: vom Jahr 1989 an, dem Geburtsjahr sowohl des Autors als auch des Protagonisten (beide „Stephan Pfalzgraf“), als auch der Autorenfiktion des Protagonisten (Stephane Comte Palatin) bis ins Jahr 2023 sind die aufgeführten Ereignisse mehr oder weniger an denen der realen Weltgeschichte angeleht. Verkomplizert wird dies, so viel sei verraten, dass die Lebensgeschichte außer dem Geburtsdatum nur in wenigen Einzelheiten denen des Autors entspricht, sondern denen Martin Heideggers, der im Jahr 1898 (wie auch Wittgenstein, Hitler, Chaplin und Cocteau, welche alle eine gewisse Rolle in der Chronik spielen) geboren ist. Diese Palimpsest-Anlage mit dem widersprüchlichen Charakter Heideggers erlaubt dem Autor nun allerlei ironische Parallelführungen, Anleihen und so manche Narretei. Die Wahl Heideggers als Ahnvater kann man, wenn man dessen Biografie und widersprüchliches Prestige kennt, nicht missverstehen: Denn einerseits gilt Heidegger vielen neben Wittgenstein als der größte Philosoph des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, mindestens als ein großer originärer Denker, und damit würde sich selbst ein Philosophiekenner lächerlich machen. Andererseits hat Heideggers Persönlichkeit selbst etwas unfreiwillig Komisches: von der vermeintlich bäuerlichen Lebensweise auf der Todtnauberger Hütte über die drollig-romantisierende Sprache seiner Philosophie bis zum Anspruch, zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts ernsthaft noch das ganze SEIN erklären zu wollen.
Sehr wichtig ist auch Heideggers hochkomplexe Beziehung zum Nationalsozialismus für Pfalzgrafs Vorhaben. Denn wie bereits erwähnt, reicht die Chronik bis ins Jahr 2076. Und die zugrundeliegenden Bezugspunkte für die zum Zeitpunkt der Niederschrift noch nicht eingetretenen Jahre 2024- 2076 hat Pfalzgraf keineswegs aus der Futurologie, sondern aus der Zeitgeschichte gewonnen. Will heißen: Er hat auf ein Palimpsest des Zwanzigsten Jahrhunderts sein Einundzwanzigstes angelegt. Mit dem Jahr 2024 also lesen wir ausschließlich Ereignisse, die Spiegelungen des Jahres 1924 sind. Dies führt im Rückblick zu mancher Einsicht, wenn man bemerkt, dass diese beiden Jahrhunderte in manchem ohnehin schon verbunden sind, wie zum Beiispiel das Jahr 1914 und 2014. Wer jedoch ein zwanzigstes Jahrhundert seinem einundzwanzigsten zugrunde legt, kommt, gerade als Deutscher, nicht an dessen apokalytpischen Klimax vorbei. Und genau darum ist die Heidegger-Figur so behände ausgewählt: Pfalzgraf vermeidet hiermit die peinliche Idee, sich selbst in die Haut eines Widerstandskämpfers zu stecken. Die zunächst fragwürdig scheinende Idee, dem zweiten Weltkrieg eine „Große Party“ und die ambivalente Machtergreifung der künstlichen Intelligenz entgegenzusetzen, ist auf den zweiten Blick Ausweis einer Perspektive, die, neben der Anerkennung der Singularität des Holocaust, Optimismus und Pessimismus transzendiert: Alles ist absolut folgenlos. Nur die Moral bleibt uns unauslöschlich auf den Fersen. So kann sich der „Heidegger-Pfalzgraf“ für seinen Dataismus rechtfertigen, von dem auch wir noch nicht wissen, welches Gesicht er uns offenbaren wird. Wird er uns alle auslöschen? Und wenn ja: vielleicht zu recht?
Um Plot und Welthistorie dieser Version kurz zu skizzieren: Die zwanziger Jahre sind geprägt von einer Autokratisierung Amerikas, die sich ja in unserer Zeit bereits abzeichnete. Pfalzgraf nutzt hier vor allem Ereignisse in der Geschichte der Sowjetunion. Die neue Weltmacht analog zum Amerika des zwanzigsten Jahrhunders spielt hier erwartungsgemäß China. Die Rolle Nazideutschlands, wenn auch in einer deutlich differenzierteren Form, spielt eine von Elon Musk entwickelte AGI (übermenschliche künstliche Intelligenz), die dieser nach seiner Wahl zum Weltpräsidenten installiert (im doppelten Wortsinne). der Zweite Weltkrieg entspricht einer sogenannten „Großen Party“, bei der die Bewertung anscheinend dem Leser überlassen bleiben soll. Die Nachkriegsjahre sind dann von einer extremen Regionalisierung gekennzeichnet. Die Klimakrise wird in diesem Szenario durch technischen Fortschritt gelöst, wodurch sich Pfalzgraf in dieser Version als wirtschaftsliberaler zu entpuppen scheint (wenn man nicht weiß, dass in anderen Versionen der Chronik die ganze Bandbreite von Klimafolgen ausbuchstabiert wird). Auch hier ist der Text auf kritische Reflexion des Lesers angewiesen.
Pfalzgrafs Einbindung in diesen historischen Kontext entspricht in etwa derjenigen Heideggers ins zwanzigste Jahrhundert, mit dem einfachen Unterschied, dass ihm nicht der selbe Erfolg vergönnt ist. Weder kann er mit seinem Großprojekt „Pein und Leid“ einen Durchbruch Schaffen, der Heideggers „Sein und Zeit“ entspricht (auf derartige Kalauer sollte sich der Leser einstellen), noch findet er eine anständige Anstellung bei einer Institution. Heideggers komplizierte Geschichte der Kollaboration findet auch in Pfalzgrafs Haltung zum Transhumanismus (der Mensch muss durch KI überwunden werden) und Dataismus (Datenverarbeitung durch KI ist der Schlüssel zu einer perfekten Gesellschaft). Und nach dem Krieg steht sehr lange sein Versuch nach Rehabilitierung als früherer Anhänger der nun verpönten Ideologien. Begleitet und Illustriert wird dies alles durch die Beziehung zur Philosophin Greta Thunberg, und in einem geringeren Maße zu Prof. Edward Snowden, die beide zunächst eine kollegiales Verhältnis mit ihm pflegen (mit Thunberg hat P. sogar eine Affäre), sich dann von ihm ab- und in den Nach-Party-Jahren ihm zögerlich wieder zuwenden.
Rätselhaft bleibt das kurze Verhältnis zu Sarah Urban, die 2023 an Krebs stirbt, und in Allusionen immer wieder in den späteren Texten auftaucht. Hierfür finden sich in Heideggers Leben keinerlei Anhaltspunkte. Daher bleibt diese Chiffre ein seltsamer Fremdkörper in der Chronik.
Es ist verständlich, dass der Autor mit dem zunehmenden Wahnsinn seines Helden, seiner Abgehobenheit, eine Entsprechung von Form und Inhalt schaffen will: Er ist im Prinzip lediglich in der Lage, kleine Szenen auszuspucken, Gags, Ideen, denen jeglicher Formzusammenhang abgeht. Wenn jedoch diese Formlosigkeit zur Form erhoben wird, diese einzige Stärke des Autors über das Transzendieren der Form ausgespielt wird: Ist dann nicht eigentlich alles geglückt?
Heidelberg, Prof. Dr. Franz P. Apfelgasth
Paris Triptychon: Die Clocharden (Linke Tafel)
Es gibt hier die verschiedensten Obdachlosen. Es gibt beispielsweise den Typ Dichter, der sich aus Verachtung des Äußerlichen ganz unachtsam kleidet (der Gürtel sitzt nicht richtig, das Hemd hängt heraus) und der gerade so irgendwie lebt, die ganze Zeit am Parlieren ist und der Stadt seine exquisiten Bonmots überantwortet.
Andere starren mich argwöhnisch an und ich bemühe mich, schnell in die andere Richtung zu schauen und dann zu gehen, weil ich weiß, dass sie mich sonst angehen. Ich weiß es natürlich nicht, aber ich denke es mir und vermute, dass ich mir immerhin eine Standpauke anhören muss: Du bist du! Und ich bin ich! Schäme dich!
Manche der Obdachlosen sind überhaupt nicht verrückt (Duh!), sondern eher Wildcamper. Sie campen hier überall, neben der Église Sainte-Élisabeth, auf dem Place de la République und auch mal mitten auf einer Verkehrsinsel. Manche schlängeln sich um die Polder herum, die verhindern sollen, dass sie sich dorthin legen, wie Fakire. Und einer hat keine Matratze, sondern ein Futon, ein Samurai der Stadt. Diszipliniert sitzt er auf seiner Matte und erträgt die Prüfungen, die ihm sein Sensei, die Stadt Paris, aufgetragen hat, um den nächsten Dan zu meistern, welcher das Überleben heißt.
Ein anderer wiederum geht einfach nur wie ein ganz normaler Bürger seines Weges, natürlich mit gequälten Gesicht und missmutig, aber nicht sehr verschieden von den anderen, und man muss sich schon bemühen, seine Obdachlosigkeit zu benennen.
Ein weißer Franzose, etwa 45, Bomberjacke, leicht punkig, spricht auf seinen algerischen Freund ein, der die Unbeeindrucktheit selbst ist. Der Halbpunker ist unrasiert und seine Gesten sind ausschweifend. Besonders fällt sein Finger auf. Die Art und Weise, wie der durch die Luft schießt, wie er ihn sich immer wieder an die Schläfe hält, signalisiert, wie viele essentielle Sachverhalte er durchblickt. So viel Wahrheit, so viel Erkenntnis in einer einzigen Person. Und je unbeeindruckter sein Freund sich gebärdet, desto akrobatischer fuchtelt er in der Luft herum, solange, bis der schließlich doch ein Nicken andeutet und beide ihres Weges gehen.
Überhaupt gibt es viele, die man für Professoren der Literatur hält und die einen intensiv anblicken, als wäre ihnen nichts lieber, als dir ihren neuen Essay über Racine vorzulegen. Aber wenn man sie dann danach fragt, dann haben sie nichts zu sagen, dann wiederholen sie sich und beginnen ein virtuos-verzweifelte Spiel um ihr Nichtwissen zu verbergen.
Es gibt auch einen Zwischenzustand zwischen altem einsamem Mann und Chlochard. Viele sind einfach nur etwas verwahrlost und bewegen sich immer weiter auf die Obdachlosigkeit zu. Sie suchen die Blicke, sie suchen die Möglichkeit, Streit zu beginnen. Aber sie bekommen sie nicht, was sie immer unfreundlicher und unglücklicher macht. Sie waren rebellisch als Jugendliche. Man hat sie gemocht; nicht freundschaftlich, aber man mochte ihren Unterhaltungswert. Das Rebellische hatte was in ihrer Jugend. Heute ist das verblasst, man schätzt die Konformität wieder mehr. Dadurch werden diese Männer plötzlich zu Aussätzigen, was sie nie gewohnt waren, denn das Rebellentum war früher cool nun ist es nur noch peinlich.
Einer trägt moderne Turnschuhe, aber auch eine bayerische Lodenjacke. Er hat weißes Haar mit einem leichten Gelbstich, einen langen Bart und einen Zopf hinten. Er steht an einer Ecke und raucht, als wisse er nur zu gut um seinen Style.
Der Rowdy mit Armeehosen raucht und spuckt einen grün-gelben Auswurf vor sich auf den Boden. Er transportiert seine Habe in einem Bergsteiger-Rucksack und einer doppelt gefassten Plastiktüte und schaut sich offensiv nach anderen Menschen um. Er sitzt vor dem Café, in dessen Pavillon ich mir ein Croissant bestellt habe und ich stelle mir vor, dass er dort draußen auf mich wartet. Was soll ich tun? Soll ich ihm seine Aggressivität vorwerfen? Sicherlich nicht. Und sicherlich werde ich auch keine Apologie veranstalten, denn wir können jetzt auch nicht die Verantwortung des Einzelnen leugnen. Die Lösung liegt wohl schlicht darin, sich nicht in Moralisierungen zu ergehen. Derweil bin ich beeindruckt von der Menge an Körperflüssigkeiten, die er vor sich ausbreitet. Seine Schuhe sind geeignet, meinen Kopf ganz ohne Not zu zertreten. Ich bitte den Kellner, den Mann für mich zu entfernen, und er tut es ohne zu zögern. Er krempelt seine Ärmel hoch und beginnt einen Faustkampf. Der Kellner ist kampfsporterfahren und der Mann in Armeekleidung unterliegt klar. Er ist zwar stärker, aber unpräzise. Knockout.
Der beleibte Obdachlose im Hoodie mit Mütze und perfektem Platz an einer Ecke von Notre Dame ist reich geworden. Mit seinem Border Collie wartet er auf sein Einkommen. Auf einem roten Pappschild steht eine herzzerreißende Geschichte in drei Sprachen, die sein Einkommen sichert und das Futter des Hundes. Und eine luxuriöse Wohnung in Montmartre. Bei Regen spannt er einen überdimensionierten schwarzen Regenschirm auf, was ihn noch mehr wie ein Buddha der Armut wirken lässt. Mit Passanten unterhält er sich freundlich.
Dann gibt es noch den obdachlosen Sänger, der das perfekte Klagelied anstimmt. Er singt: bitte gib mir doch ein bisschen was, gib mir etwas, damit ich nicht verhungern muss, die Welt ist ungerecht zu mir. Und er hat recht und er ästhetisiert es auch zurecht und sein Timbre schwingt, als zerfledderte die Membrane des Seins. Er ist erfolgreich mit dieser Geschäftsmethode. Selbst die Kirchgänger, welche nicht dafür bekannt sind, außerhalb der Kirche ihr Geld zu lassen, werfen ihm ein wenig hin, weil sie sich sagen: mein schöner Anzugrock passt in dieses Flair, passt in diesen französisch-andalusischen Flamenco. Und wenn Du dich darüber echauffierst, dass ich die Geschäftsmethoden der Bettler beschreibe, dann nur, weil du sie in Gedanken schwach halten möchtest und ihnen keinen Geschäftssinn zugestehst.
Ich bemerke, dass mir ein Taschendieb folgt, und es stört mich nicht weiter. Ich gehe einfach weiter. Und nach einer Zeit bemerke ich dann, dass mir zusätzlich noch ein Bettler folgt, dem ich nichts gegeben habe. Ich dachte, er würde schon irgendwann aufgeben, doch er tat es nicht. Da ich mich relativ langsam bewege, hat er keine Mühe, mir hinterherzukommen. Er sagt nichts, er folgt mir einfach. Und nun hat sich noch ein Verkäufer angeschlossen, ein Mann, der mir eine gefälschte Uhr verkaufen wollte, es aber nicht geschafft hat und immer weiterfeilscht. Das Seltsame ist: diese drei scheinen einander nicht zu bemerken, oder wenn sie sich bemerken, kein Interesse füreinander zu haben. Warum bittet nicht der Bettler den Uhrenverkäufer um eine Spende? Warum stiehlt nicht der Taschendieb dem Bettler die Uhr, die dieser dem Uhrenverkäufer heimlich entwendet hat? Nun, ich denke, das liegt daran, dass sie füreinander völlig uninteressant sind.
Der hipste Obdachlose liegt in seinem Zelt an der Église Saint-Vincent-de-Paul und genießt das milde Wetter. Er hat die AirPods im Ohr und sucht nach dem richtigen Sound für die Misére, die da heißt: Ziehe nach Paris und finde keine Wohnung.
Über Obdachlose zu sprechen in jeder anderen Form als in politischer oder sozialkritischer Kunst, ist verwerflich. Aber sozialkritische Kunst beherrsche ich nicht, weil ich mir nicht anmaßen möchte, die wahren Ursprünge für das Unglück zu kennen, wie das so viele andere ganz ohne Not tun. Mir bleibt also nur zu beschreiben, was ich sehe, und mit der Konsequenz klarzukommen, dass ich damit einen abscheulichen Text produziere. Denn überhaupt keine soziokulturellen und ökonomischen Vorstellungen zu haben oder einfließen zu lassen ist natürlich noch viel ideologischer.
Der gepflegte Bettler bittet mich ganz eloquent auf Französisch um etwas. Ich habe Mühe, ihm verständlich zu machen, dass ich gar kein Französisch spreche. Und er bedeutet mir, das sei gar kein Problem. Mit wenigen Wörtern Englisch erklärt er mir, dass er was zum Drehen braucht. Ich versichere ihm, dass ich leider nicht rauche. Und wieder versichert er mir, dass das gar kein Problem sei, er brauche nur einen Euro. Mit langgezogenem O, ohne das U, das die Amerikaner am Ende aussprechen. Als ich den Kopf schüttle, geht er unverzüglich und zielstrebig seines Weges und geht auch an die Frau vorüber, die gerade eine Zigarette angezündet hat und ihm sicherlich eine gegeben hätte.
An die Ampeln hat man Menschen gestellt, die mit einer roten Kelle darauf achten, dass die Fußgänger die Verkehrsregeln befolgen. Es scheinen Obdachlose oder Arbeitslose zu sein, denen man eine gelbe Warnweste umgeschnallt hat. Und dazu eine Beschäftigung. Es sind Ampeln, an denen ohnehin fast nichts passiert. Daher können sie weder viel falsch noch richtig machen. Auf diese Weise sollen Sie Selbstwirksamkeit erfahren. Ab und zu schnauzen Sie einen Touristen an, was gut ist. Und die Stadt denkt sich sicher, auf diese Weise halten wir sie davon ab, Drogen zu nehmen. Vielleicht ist das eine geniale Idee. Und dennoch kommt es mir so antiliberal vor.
Ein zerzauster Mann mit Lederjacke und lichtem grauem, ungewaschenem und ungeschnittenem Haar, aber keinem Bart, sitzt in einem Hauseingang und isst eine Banane, während er sich mit dem kleinen Finger so tief in der Nase bohrt, wie man es sich nur vorstellen kann. Dann zieht er es heraus und isst es zusammen mit der Banane.
Ich stelle mir ein Paris vor, in dem es nur Bettler und Touristen gibt. Keine Einwohner. Alle Wohnungen sind Airbnb und von Touristen besetzt. Die Airbnbs werden von Touristen oder Bettlern verwaltet. Wer verdient, ist nicht zu ermitteln. Die Touristen gehen durch die Reihen der Bettler und sind schockiert, wie sehr die Sitten hier verfallen sind. Die Bettler schauen auf die Touristen und sind schockiert, dass sie selbst nicht die Touristen sind.
Paris Triptychon: Die Stadt (Mitteltafel).
Das Stadtklimpern vermischt sich mit der Musik aus meinen Kopfhörern. Ich höre, wie Lutoslawskis Stakkatos von einer Hupe eines Medikamentenausliefers imitiert werden. Das Grundrauschen der Schleuse dieses Kanals liegt noch unter den brummenden Harmonien, die Stimmen von Passanten lockern das Latein der Sänger. Ist das eine Pauke oder hat jemand die Tür eines Lieferwagens zugeschlagen? Jeder trägt Kopfhörer oder AirPods. Unsere Individualmelodien werden umrahmt von der Stadtmelodie, der wir nicht entfliehen können, auch nicht mit Noise Cancelling. Das ist der Zwang, dem wir ausgesetzt sind, der uns als letzter noch vereint und unsere Playlist ist der Dijon, den wir ihm heimlich beigeben. Und natürlich ist der Klang aus unseren Kopfhörern nur eine Metapher für den Klang aus unseren Köpfen, den Gedankenstrom, der ohnehin alles unterspült. So bilden sich die Kaskaden der verschiedenen Ebenen einer Klangwelt, die unsere Realität heißt.
Gutes Stadtdesign. Gute Regierung. Gute Sozialität. Gute Nachbarschaft. All dies muss uns vor allem dienlich sein beim Warten. Das Warten ist die menschliche Grundkonstitution. Überall stehen und sitzen sie. An die Mauer gelehnt, rauchend steht der ärmliche Obdachlose mit seiner Baseball Cap. Auf der Bank am Kanal sitzt der frischgeschiedene 60-Jährige und starrt ins Wasser. Daneben am Wasser sitzen die jungen Perserinnen und essen Käse und Baguette. Auch sie warten auf etwas. Der Wartezustand ist der Zustand, in dem beim Menschen die Grundkonstitution des Wartens auf den Tod explizit wird. Wir sehen den Menschen an und er bemüht sich dabei gut auszusehen. So ist die Coolness in die Welt gekommen. Die Coolness ist der Gestus, der sagt: Schau ruhig her, es macht mir gar nichts aus zu warten. Ich strahle aus, ohne zu müssen; ich bin nicht verwirrt durch die Tatsache, dass ich nicht weiß, wie es weitergeht.
In der ganzen Straße wird nur eine einzige Ware angeboten. Hochzeitsmode. Nur ganz selten gibt es mal eine Apotheke. Ansonsten gibt es nur Herrenanzüge und Frauenbrautmode. An den Eingängen stehen die Besitzer und wachen darüber, wer den Laden betritt, damit niemand die kostbare Billigware stiehlt, deren Preise bei 40 Euro beginnen und dann bis ins Unendliche schießen. Seltsamerweise haben die Besitzer selbst nur selten diese Anzüge an und sehen eher aus wie Kioskverkäufer. Anscheinend kauft ganz Frankreich hier seine Brautmode. Und wenn man heiratet, muss man vorher als Ritual einen Trip nach Paris buchen, wo man zunächst von diesem Herrn eingelassen wird und sich dann beraten lässt, um den perfekten Anzug zu finden.
Die „Deux tons“ der Franzosen sind viel diverser als die deutschen Martinshörner, welche nur die Quarte kennen. Hier gibt es die große Sekunde, die Quinte und sogar eine kleine Sechste habe ich schon gehört. Und ich würde mich nicht wundern, wenn mir eine Oktave oder Terz unterkäme. Was mich aber überraschen würde, wäre ein Tritonus oder eine Septime. Die Dissonanz behagt den Franzosen genauso wenig wie den Deutschen.
Die sogenannten taktilen Bodenindikatoren, die Noppen, die man für die Blinden auf die Pflastersteine gemacht hat, liegen ganz verstreut herum, sodass man, wäre man blind und würde versuchen, mit dem Stock zu ertasten, wo man stehen bleiben soll, verrückt werden müsste. Das liegt daran, dass hier vor einiger Zeit Bauarbeiten waren. Die Straße wurde neu gemacht und die Pflastersteine und Fliesen wurden entfernt, herausgenommen und danach wieder unsachgemäß eingesetzt, sodass die Muster nun ganz erratisch sind.
Überall auf der Welt gibt es Bars, und überall auf der Welt muss der Barbesitzer mal Hand anlegen. Hier ist einer, wie aus dem Buche, mittleres Alter, leicht ergraut, keine besondere Kleidung, leichter Bierbauch. Und er versucht, ein braun-beiges Segel an einer Stange anzubringen, vielleicht als Sonnen- oder Regenschutz, vielleicht als Schutz vor herunterfallenden Gegenständen von der Baustelle des vergerüsteten Gebäudes. Dass wir in Paris sind, sieht man daran, dass er dabei einen Aperol neben sich stehen hat. Das ist der kleine Unterschied.
Wenn man Taschen der Ästhetik in einer sozialen Umgebung schafft, dann bewirkt man dadurch, dass die Menschen ästhetischer und damit qualitativer leben. Das kann man in Paris sehr schön beobachten. Dass sie dann andere Tugenden vernachlässigen, ist nicht weiter problematisch. Viel schwieriger ist der Sachverhalt, dass sich bestimmte Ästhetiken herausbilden, die lächerlich wirken. Es bilden sich Schulen heraus, Moden, deren Beherrschung nur wenigen gelingt. Oder besser gesagt, wem die Beherrschung zu gut gelingt, der verliert. Gleichwohl: wem sie gar nicht gelingt, der verliert auch. Es ist ein bisschen wie der Unterschied zwischen Kunst und Kultur.Man sieht in der Stadt sehr viele Leute, die dieses Spiel nicht beherrschen. Sie tragen Mäntel und Schals und vapen und sehen aus wie Filmschauspieler, aber dann doch nicht so elegant, doch nicht so charismatisch, und zu jung. Es erinnert mich ein bisschen an 19. Jahrhundert, als es noch keine Jugend gab und alle jungen Menschen aussehen sollten wie alte. Sie ließen sich Bärte stehen und wirkten generell immer ein bisschen deplatziert. Auf diese Art und Weise sind hier sehr viele Menschen deplatziert. Sie machen sich lächerlich. Es gibt dieses Phänomen in jedem Milieu und in jeder Mode. Selbst in den unteren Schichten kann nicht jeder wie ein echter Gangsterrapper aussehen. Und die jungen Sorbonne-Studenten können nicht alle wie Timothée Chalamet aussehen. Es gibt einen Zwischenweg, der mit Schlichtheit zu tun hat und Individualität. Man kann das schaffen durch genuin kreative Entscheidungen. Das muss nicht immer gleich der Hauptgewinn sein. Der ist doch gar nicht nötig. Es geht nur darum, nicht in die Falle zu tappen, die die Ästhetik dir stellt.
Ich komme bei einem Taxidermisten vorbei, einem Tierpräparator, und wundere mich wieder einmal, dass so etwas existiert. Ja, dass hier alle bekannten Tierarten vertreten sind. Aus dem Schaufenster grunzt mich ein Ferkel an, und am Kronleuchter hängt ein Waschbär in neckischer Pose. Sie verstehen Ihr Geschäft hier gut, wie überall in Paris. Und man sieht nirgendwo die unschönen Fehler, die Amateurjägern passieren, wodurch die präparierten Tiere wie Zombies aussehen, deren Haut und Fell im Abfallen begriffen ist, mit Narben wie Frankenstein. Und selbst hier haben Sie eine modern gekleidete junge Pariserin an der Kasse, der ich zutraue, Veganerin zu sein. Ich habe noch nie darüber nachgedacht, ob hier ein moralischer Widerspruch vorliegt oder nicht, und habe auch nicht vor, es zu tun.
Besonders interessant ist es, in Paris die schwarze Bevölkerung zu beobachten. Auch hier gibt es, so vermute ich, alle sozialen Schichten, vom Geschäftsmann, der ein bisschen zu perfekt angezogen ist und demnach eigentlich als Model besser aufgehoben wäre, über den Soldaten, der mit seiner Patrouille schwer bewaffnet durch den Louvre schlendert und sich einen Seitenblick auf eine schöne afroamerikanische Touristin nicht verkneifen kann (deren Erwiderung ich beobachtet habe, er aber nicht), bis zur Putzfrau, die ein Bündel mit Decken auf dem Kopf transportiert, was eine polnische Putzfrau in Deutschland niemals tun würde und was vielleicht die Tradition der Wolof oder Bambara verrät, aber das habe ich gegoogelt.
Das erste Erblicken von Hundescheiße macht einen aufmerksam für andere Flecken Hundescheiße in der Nähe. Dieses Stückchen bleibt mir besonders in Erinnerung, weil es perfekt geformt ist, wie ein Hexagon. Und in der Mitte hat es ein Nike-Logo. Jemand hat es unfreiwillig ausgestanzt und mit dem nächsten Schritt wieder auf der Straße platziert. Und jetzt liegt es da und sagt jedem, der vorbeikommt und es sehen will: Just Do It.
Eine etwa 50-jährige Thai steht in Steppjacke an der Straße und spricht konzentriert etwas vor sich hin, während sie die Finger ihrer angespannten Hände konzentriert aufeinander presst. Es ist eine buddhistische Übung, ein Gebet, das ich aus einem Youtube-Video kenne.
Sie hat ihr Fahrrad schon abgestellt, die erstaunlich schlanke, 53-jährige Französin, mit den schwarzen Jeans, in der sie einen Hintern wie eine 23-Jährige hat. Wodurch sie auffällt, ist ihr komplett verspiegelter Retro-Fahrradhelm, in dem sich alles um sie herum wiederfindet, was so außerordentlich ungewöhnlich ist, dass ihr alle Umstehenden zu diesem perfekten Accessoire gratulieren müssen. Wie kann man in Würde auftreten, nachdem die Jugend vorbei ist? Sie zeigt es uns allen.
Diese Boulangerie hat gerade geschlossen und die Mitarbeiterinnen beginnen mit dem Aufräumen und schließen das Geschäft. Sie heben die Polster an und finden selbst hier noch eine Beschäftigung. Ich sehe dies von draußen und beim nächsten Schritt sehe ich, dass der Lieferanteneingang offen ist und dass auf dem herausgehobenen Backblech etwa 15 frische Baguettes ausdampfen. Ich schaue mich um, lege meine Tasche und meinen Schirm draußen ab, sodass sie mich nicht stören und verraten. Ich sehe mich um und gehe langsam hinein, immer mit dem Gedanken, dass ich ja fragen kann, ob der Laden noch geöffnet hat. Doch niemand sieht mich und ich beuge mich herunter, um ein Baguette anzufassen. Doch ich sehe am Dampf, wie heiß es ist und dass ich mir die Finger verbrennen würde. Also streife schnell einen Handschuh über, greife mir das Baguette und zwinge mich, nicht zu schnell hinauszugehen. Dann nehme ich meine Sachen, die draußen stehen, und suche das Weite.
Eau du Robinet! Selbst die einfachen Dinge klingen in dieser Sprache, als wären sie von Dichtern erdacht. Drei Buchstaben, wo man im Deutschen nur einen verwenden würde. Man denkt im Französischen immer die Schrift mit, wenn man spricht. Würde man es auf Deutsch transkribieren, es klänge wie eine Parodie.
Die Betrachtung und Erkenntnis von Sehenswürdigkeiten folgt einem seltsamen Muster. Beim ersten Mal ist es eine leichte Faszination, die sich ihrer selbst bewusst ist und die von sich ein wenig enttäuscht ist. Schließlich sind der Sehenswürdigkeiten viel zu viele. Beim zweiten Mal dann bemerkt man dasselbe Gebäude mit einem Gefühl des Du-schon-wieder und ist überrascht von der eigenen Unbeeindrucktheit. Man muss diesem Gefühl entgegenstehen und sich bemühen die Spannung auszuhalten. Es bringt natürlich nichts sich die romantische Verzauberung zu wünschen, aber man kann die Arbeit tun, man kann den Blick konsequent auf die Ornamente richten, sein Formverständnis überprüfen, sich Fragen stellen. Es ist also nur der Weg der Rationalität in der Lage mit dem Phänomen umzugehen. Die wirkliche Begeisterung für ein Gebäude entsteht nicht in diesem Moment. Sie wird erzeugt durch die Aushandlung, durch das Erzählen von dem Gebäude, durch das Erörtern seiner kunsthistorischen Signifikanz, ganz gleich in welch einfacher Sprache. Dann kann man, wenn man das Gebäude beim nächsten Besuch wieder zum ersten Mal sieht, tatsächlich so etwas wie Begeisterung empfinden. Dann stellt sich genau das Gefühl ein, das man sich beim ersten mal gewünscht hatte. Aber natürlich bleibt auch dieses unverfügbar. Beim vierten Mal wird es vielleicht schon wieder verschwinden, oder es wird sich intensivieren, oder die Beziehung zu dem Gebäude wird eine Art Ehe, die von Liebe, Hass und Freundschaft gleichermaßen geprägt ist.
Der elegante Mann mit den zurückgegelten Haaren tritt dem Boulanger mit den frischen Baguettes und der Schürze aus dem Weg. Er tut so, als würde er gleich die Straße überqueren müssen, wird es aber nicht tun. Er trägt elegante schwarze Schuhe, einen schlichten blauen Mantel, seine Haare zurückgegelt, seine Brille ist bernsteinmarmoriert. Er trägt eine schwarze Stofftasche und raucht ganz elegant. In der Rechten unter der Tasche hält er eine Bibel. Seine Gesichtszüge sind markant und leicht gebräunt. Während er so steht, machen sich zwei Mädchen daran, ein TikTok-Video aufzunehmen, was er mit einer einzigen Geste Einhalt zu gebieten versteht. Er möchte ihnen Vernunft einreden, denn so etwas kann man nicht vor einem Gotteshaus tun. Diese Kirche, die Barock und Klassizismus vereint, wird von der Piusbruderschaft besetzt, welche sich gegen den ihrer Meinung nach zu liberalen Vatikan wehrt. Schöne, charismatische Männer wie er sind der Grund dafür, warum ich nicht mehr an Weisheit glaube. Die Meister haben in unserer Zeit bewiesen, dass sie nur Scharlatane sind, dass ihre Autorität ein Machtgebaren ist, welches man unter keinen Umständen respektieren darf. Man muss natürlich freundlich ihnen gegenüber treten, aber man muss ihnen seine Skepsis vorhalten. Das allein genügt meist schon, um sie aus der Fassung zu bringen.
Es gibt auch den einsamen, mittelalten Deutschen, graues Haar, hellbraune Hose, grünbraune Jacke mit Kapuze, eine Stofftasche umgehängt und einen Schirm in der Hand. Er lässt sich bei jedem Schritt ein wenig fallen. Er trägt eine Brille und ist immer bemüht, irgendwo hin zu starren, wahrscheinlich, weil er nicht mehr ganz so gut sieht, nicht mehr ganz so gut hört und generell die Dinge gern genau anschaut. Er hat irgendetwas studiert, vielleicht Klavier, und er fährt gelegentlich nach Paris, weil er in Deutschland nichts Schönes mehr findet. Paris trägt die Schönheit seiner Jugend. Hier war er einmal mit seiner Frau, bevor sie ihn verlassen hat, oder er sie, weil er eine Affäre mit einer Studentin hatte. Ihn würde ich gerne auf den Pius-Bruder hetzen. Oder besser, ich wünschte mir, ihn neben jenem stehen zu haben, während dieser etwas seiner Meinung nach moralisch Fragwürdiges tut. Dann würde er sich empören, denn empören kann er sich gut und er tut es auch zurecht und eloquent. Und dann würden die beiden diskutieren. Sie sind etwa gleich alt und der Deutsche würde fließend französisch sprechen, natürlich mit einem sehr starken Akzent. Und er würde gestikulieren und sein ebenfalls braunes Hemd würde leicht auseinandergehen dabei.
Viele Pariser joggen, auch Ältere. Es hat Ihnen noch niemand gesagt, dass es vermutlich nichts Ungesünderes gibt, als in einer Großstadt zu joggen. Ganz gleich, ob man nun am Smog erstickt oder angefahren wird.
Die TikToker vor dem Pantheon sind auf ihre amateurhafte Weise hochprofessionell. Sie haben eine Kamerafrau, eine perfekte Diversität, eine, die parallel zur Kamerafrau die Choreografie macht und die Box hält und Anweisungen gibt. Die Touristen beobachten es von der Seite, filmen selbst und klatschen ein klein wenig. Sie sind davon genauso belustigt wie von Straßenmusikanten oder Hütchenspielern.
Unsere Zeit ist falsch, nicht nur weil sie keine Klassik ist, sondern auch weil sie keine Klassik mehr sein will. Wie soll man sonst zur Klassik gelangen, als indem man sie anstrebt? Haben sich Goethe und Schiller nicht um die Klassik der Griechen bemüht? Die Klassizisten sind oft gescheitert, aber gelegentlich ist ihnen doch auch was gelungen. Und wenn wir heute in den Cafés sitzen und die Stile durcheinander leiern, so ein bisschen Jugendstil und so ein bisschen Industriezeitalter und ein bisschen Romantik und ein bisschen Barock, dann zeigt das nur unsere Verlorenheit und nicht etwa unsere Souveränität.
Illustrierte, Zeitungen, Röhrenfernseher in Kunstausstellungen, selbst irgendwo ein Faxgerät und Briefmarken, alles findet irgendwo seine Nische und bleibt erhalten. Doch dies ist im Großen und Ganzen nur eine Illusion, denn die früheren Zeiten sahen ganz genauso aus und nicht alles bleibt erhalten. Die früheren Gesellschaften hatten genauso einen Synkretismus der unterschiedlichsten Medien, nur dass darin Medien enthalten waren, die wir längst verabschiedet haben und die langsam ausgetrocknet sind.
Auf dem Friedhof von Montparnasse sitzend und mich wundernd, dass mich der uferlose Tod um mich herum nicht angreift, wird mir klar, dass es einen Zustand geben kann, in dem einen gar nichts angreift. Und je nachdem, ob man diesen Zustand als sinnhaft erlebt oder nicht, nennt man ihn Erleuchtung oder eben Entfremdung. Wie kann es sein, dass es mich nicht anfasst, dass hunderte, ja tausende Tote hier um mich herum verscharrt sind? Und gleichsam muss man sich fragen, wie es sein kann, dass das Wunder des Lebens, das in jedem Grashalm hier steckt und sonst auch überall einen ebenso nicht anfasst? Die Antwort ist offensichtlich: Das Angefasstwerden selbst hat seinen Zweck und wer keinen Zweck mehr hat (Zeitgenosse), der kann nicht angefasst werden. Der Zeitgenosse ist erst noch auf der Suche nach neuen Zwecken und geht daher an allem vorüber wie ein Unbeteiligter.
Während ich mich auf einer Bank ausstrecke, kommt ein Friedhofswärter zu mir und sagt, hier sind die Toten, haben sie ein bisschen Respekt vor Ihnen! Ich richte mich auf und sage, die Toten sind nicht hier, nur ein Lebender. Haben Sie doch ein bisschen Respekt vor dem!
Den Menschen können wir ja nur deswegen das Nichts nennen, weil an dieser Stelle, wo der Mensch sein soll, etwas vermutet worden war. Man muss ihn also das Vermutete nennen. Denn überall sonst ist das Nichts ja auch. Das Nichts an der Stelle des Menschen, es ist nur durch die Vermutung besonders.
Wie der Flügelschlag eines Falken sind die Wolken jetzt. Sie schlagen über das Land und verdecken die Sonne mit einem Mal. Und der Wind wird stärker und die Bäume rauschen. Und im nächsten Schlag ist die Sonne wieder da.
Ich beobachte, wie die Angehörigen von Jean-Paul Sartre als Einzige hier mit einem Auto vorfahren dürfen, um das Grab zu pflegen. Sie räumen die kleinen Mao-Bibeln von der Grabplatte und geraten in Streit mit vier Tiktokern in schwarzen Rollkragenpullis, die eine Choreographie zu einem Elektro-Swing-Remix von Avec le temps von Léo Ferré einstudieren.
Hier sind die Gemeinsamkeiten von Tourismus und Religion noch am ehesten zu spüren, wenn die Touristen zu den Gräbern berühmter Persönlichkeiten pilgern, ohne irgendeine Art von echter Verehrung für sie zu empfinden oder gar Transzendenz zu erwarten. Sie tun es einfach, weil man ja irgendetwas tun muss. Und das ist letztlich sehr verständlich. Denn wie wir alle sind sie Individuen, die sich nicht mehr minütlich darum kümmern müssen, Nahrungsmittel zu finden. Und die Transzendenz ist in ihrem Urgrund nichts anderes als die absolute Versorgung mit Nahrungsmitteln. Wenn sie sichergestellt ist, ist das Spiel zu Ende.
Zu Sartres Grab passt der französische Brauch, die Grabsteine berühmter Persönlichkeiten mit Lippenstift zu küssen, ganz besonders. Denn das hässliche Männlein hätte sich das sicherlich schon zu Lebzeiten gewünscht.
Dass die Moderne ein Fehler war, muss sich einem aufdrängen, wenn man zwei Tage lang in Saint-Martin war und von dort zum Louvre spaziert ist, zum Panthéon. Und wenn man dann zum ersten Mal ins Quartier Latin kommt und dort zum ersten Mal seit seinem Paris-Aufenthalt Gebäude sieht, die jünger sind als 80 Jahre. Diese Zweckbauten ohne Ornament stechen so unfassbar traurig aus der noch intakten Architektur des 19. Jahrhunderts heraus, dass einen fast der Schlag trifft. An anderen Gegenden, wo die Moderne normal ist, gewöhnt man sich schnell an diese Architektur. Hier in Paris kann man noch in dem Traum schwelgen, dass das 20. Jahrhundert niemals passiert ist. Das heißt natürlich nicht, dass man sich in billigen Wünschen nach Tradition und Vergangenheit ergehen darf. Aber es heißt, dass man die These ernst nehmen muss, dass wir wirklich falsch abgebogen sein könnten.
Durch ihre extreme Fixierung auf Paris, die natürlich absolut verständlich ist, haben sich die Franzosen selbst ein Bein gestellt. Wer nicht Pariser ist, das heißt, wer es nicht schafft, in Paris zu wohnen, der ist im Prinzip automatisch ein Versager. Für manche ist der Imperativ in Paris zu wohnen so stark, dass sie in die Pariser Außenbezirke ziehen, wo das Leben nicht lebenswert ist, nur um sagen zu können, dass sie Pariser sind. Aber viele gehen natürlich aus finanziellen Gründen nach Lyon oder Marseille, weil sie dort eine Arbeit finden, und müssen dann selbstverständlich ständig Urlaub in Paris machen. Während sie dann in Paris sind, müssen sie missmutig dreinschauen, weil sie die ganze Zeit daran erinnert werden, wie unglücklich sie sind, nicht hier wohnen zu können. Wenn sie dann aber nach Hause gehen zu ihren Freunden, sieht es ganz anders aus. Sie blühen auf und berichten von dem Wunderland Paris, in dem sie die beste Zeit ihres Lebens hatten, und das sie so bewundern. Sie kritisieren Paris natürlich auch ein wenig, so wie man seine Heimatstadt kritisiert, aber sie haben eigentlich kein Recht, Paris als ihre Heimatstadt zu kritisieren. Doch indem sie es trotzdem tun, eignen sie sich Paris ein wenig an. Und ihre Freunde, die auch in Saint Denis wohnen, wissen das natürlich, aber sie spielen das Spiel mit, weil sie in der nächsten Urlaubssaison genau das gleiche tun werden.
Eine 60-jährige kleine Französin in ganz normaler Kleidung legt sich auf die Stufen des Odeon-Theaters und tut so, als posiere sie für ein Foto. Sie raucht dabei und sieht aus wie ein Kind. Aber sie ist kein Kind mehr. Und es wirkt absurd, dass sie sich das erlaubt. Vielleicht ist sie Regisseurin oder Schauspielerin. Vielleicht ist es ein Theaterprojekt, bei dem die Schauspieler um das Theater herum verteilt werden, um NPC-Rollen zu spielen. Aber letztendlich ist es egal.
Die Apotheken haben grüne, kreuzförmige Neon-Leuchtschilder, in denen die Kreuzform hundertfach iteriert, variiert, abgewandelt und mit nützlichen Informationen wie dem Datum und der Temperatur garniert wird. So schafft das Kreuz eine Art Apotheken-Event, ein Gesundheits-Event, das man nicht verpassen will. Man wünscht sich förmlich krank zu sein, um in dieses trashige Wunderland der Heilung eintreten zu müssen und sich eine Aspirin zu besorgen.
Welch Verbrechen hast du nur begangen mit deiner Güte? Wie grausam warst du, als du ihm dieses Lächeln schenktest, in dem Glauben, etwas Gutes zu tun. Du weißt doch ganz genau, dass man so was nicht macht. Du hast die Gabe, abzuschätzen, wessen Blicke er sonst so bekommt. Würde man die Obdachlosen denn mit Kaviar beschenken? Wäre ihnen nicht ein gutes Brot, ein Burger viel lieber? Du aber wirfst Perlen vor die Säue und erwartest, dass sie daran nicht ersticken.
Die Franzosen fassen sich noch an. Ein junger Mann erkennt sprungartig eine Bekannte, die mit ihrem Freund unterwegs ist. Hält sie an der Schulter fest. Und die reagiert erst brüskiert, dann kann sie die Bekanntschaft nicht mehr leugnen und geht zu einem Gespräch über. Und auch ihr Freund schafft es, eine Miene der Freundlichkeit aufzusetzen. Sagt hallo auf Französisch und für einen Ausländer wie mich klingt schon das kultiviert.
Ein alter Mann mit braunen Sakko und Schiebermütze, der nach vorne gebeugt, energischen Schrittes geht, eine Brille trägt und ein bisschen aussieht wie ein französischer Naturforscher aus dem 19. Jahrhundert. Ein Sikh, der eine große Sackkarre schiebt und ohne Turban und Bart nicht als solcher zu erkennen gewesen wäre. Der Mann, der als Frau mit Hosenanzug angezogen ist und extrem missmutig dreinschaut, etwa 60 Jahre, schlecht geschminkt, der Lippenstift ganz falsch aufgetragen, man weicht ihm aus und weiß nicht, ob er aus Verrücktheit so aussieht oder weil er Trans ist, und man schämt sich gleich für den Gedanken.
Der Dyson trocknet meine Hände nicht, sondern er treibt nur die Feuchtigkeit unter den Hemdärmeln meine Arme hinauf.
Ein junger Franzose mit Goldlöckchen geht vor mir her, vielleicht ein Student, mit einer karierten hellen Hose und einem nettbraunen Mantel und einer Stofftasche mit einem kultivierten und gleichsam durchschnittlichen Gang. Weiß er, dass man heute so nicht mehr aussieht? Dass die 60er vorbei sind?
Ein gutaussehender, gepflegter Mann ist plötzlich hinter mir, während ich dies aufnehme. Als ich ihn bemerke, überquert er fast fluchtartig die Straße. Ich kann nicht sagen, ob er mich wirklich bestehlen wollte. Ich schaue ihm fassungslos hinterher, während er mit einer Menschenwoge emulgiert. War es vielleicht ein Cruiser, kommt mir der Gedanke. ich weiß gar nicht, warum. Andererseits gibt es immer irgendwelche Gründe, warum Menschen in deine Richtung schauen, warum sie hier auf etwas warten könnten. Es gibt hier einfach zu viel.
Diese beiden Texte hat die Spracherkennung nicht richtig erkannt und ich habe ihren ursprünglichen Sinn vergessen. Ich drucke sie aber dennoch ab:
[Hier seht ihr, dass die Menschen in der Kettenhaltung verschwunden sind. Sie verschwendet flächendeckend, indem Sie eine Lampe benutzen, um sich besser zu balancieren. Es sind nur noch wenige Haare vorhanden. Sie tragen eher schlicht dunkle Farben. Und sie daneben einen Mantel. Beide hat Gott nicht mit. Sie hat sich zum Ausmaß entstattet. Daher hat sie sich selbst zu schwer gegriffen und hat sich ihre Lippen aufschütteln lassen. Doch aus irgendeinem Grund ist es ganz schief gegangen. Und die Lippen stehen spitznapp und sind überhaupt nicht zum Fressen des Gesichts. Vielleicht kann man das als einen der wenigen Fälle hier wirklich nur mit noch mehr Schönheits-OPs berichtigen.
Sie hat letztlich alles getan, was man tun kann. Sie hat gute Schuhe, einen guten braunen Mantel. Ihre Tasche ist elegant. Ihre Stofftasche ist hip und einfach. Ihre Haare sind braun und tragen noch eine leichte Blondfärbung. Nur leider ist Ihre Nase ein wenig zu groß. Eine Muttermeldung ist ein wenig zu sichtbar. Sie wird grausam. Sie macht doch alles richtig.]
In den Großstädten der Welt stehen nun an jeder Ecke alte Männer mit einem Smartphone in der Hand, sind an die Wand gelehnt und folgen interessiert einem unbestimmten Flimmern. Manchmal haben sie Warnwesten an, manchmal Steppjacken, manchmal beides. Einer hat seine Brille auf die Glatze geschoben. Die linke Hand in der Bauchtasche, immer den Blick leicht nach unten ins Flimmern gesenkt. Was ist es, was Ihre Aufmerksamkeit so bannt, dass Sie Tag um Tag so verweilen? Sie bilden eine Garde der Einzelgänger. Die Warnweste haben Sie sich sicher nur im Laden gekauft und tun so, wenn beispielsweise die Müllabfuhr vorbeifährt, als hätten Sie die wichtige Aufgabe, den Verkehr zu regeln. Aber die Müllmänner scheinen Sie gar nicht wahrzunehmen. Sie machen Witze über Sie. In der Nähe von Kinderspielplätzen will man solche Typen nicht haben. Sie wechseln auch nie den Platz. Sie werden auch nie verscheucht. Sie betteln nicht. Welches geheime Versprechen geht von dem Leuchten aus? Ist es das Versprechen auf einem anderen Standplatz in einer besseren Gegend? Oder verspricht es einen Urlaub im Süden? Verspricht es Frauen? Sie sind nicht einsam. Denn sie bekommen Besuch. Die einzigen Momente, in denen Sie aufschauen, sind diejenigen, in welchen ein Bekannter vorbeikommt und mit Ihnen ein Pläuschchen hält. Sie gestikulieren dann aufgeregt und erörtern etwas, das man von Weitem nicht hören kann. In dieser Zeit ruht das Flimmern im Inneren der Steppjacke. Und sobald sich der Bekannte entfernt, vielleicht ist er ja selbst auf dem Weg zu seiner Ecke, wird das Smartphone wieder herausgezogen und entsperrt. Besonders in der Dunkelheit entfaltet es einen erstaunlichen Glanz. Dann ist nur noch ein Lichtkegel vorhanden, der von der gewölbten Bauchmitte sich ausbreitet und die Vorderseite des Gesichtes in eine schaurige Maske verwandelt.
Dann gibt es noch die pakistanischen Kurierfahrer, die auf ihrem Roller warten, mit einer ungefüllten Tasche auf dem Rücksitz. Sie parken vor einem Restaurant, vor dem Sie hoffen, dass es dasjenige sein wird, dessen Bestellung Sie austragen werden. Aber es findet keine Bestellung statt. Die Menschen sind heute satt. Auch hier ein Flimmern. Und die Möglichkeiten der Beschäftigung sind unendlich. Die Möglichkeiten, was es anzeigen könnte, sind unbegrenzt. Müssen sie auch sein, denn es wird heute keiner mehr bestellen. Gleichwohl muss der Fahrer in voller Montur und jederzeit zum Abfahrbereit dasitzen, schon alleine aus Gründen der Würde. Und jederzeit könnte die lebenswichtige Bestellung eingehen. Und wenn er sie verpasst, bekommt er eine schlechte Bewertung, was mit dem Karriereende gleichzusetzen ist.
Wenn die Menschen in die Scheibe starren, dann sind sie natürlich Zombies. Dieses Zombie-Dasein ist wie ein Stand-by-Modus. Sie sind dann nicht wirklich anwesend in einem starken Sinne. Sie können natürlich jederzeit zurückgerufen werden durch eine Verkehrssituation oder eine Anrufung. Wie immer, wenn die Moderne unsere magischen Vorstellungen realisiert, hat das nichts Magisches mehr. Es ist ganz pragmatisch und realistisch und vollzieht sich ohne jegliche Zaubereffekte und Beglückungen. Wie sollte es auch, wenn die Menschen leben müssen? Sie können ja nicht die ganze Zeit beglückt werden von ihrer Scheibe. Die Reisenden sind wirklich an einem anderen Ort. Sie verlagern einen Teil ihres Bewusstseins in eine andere Realität. Sie sind wie Schamanen, die in die Geistwelt fahren. Nur, dass die Geistwelt kein besonderes Ereignis darstellt, keine Erleuchtung bietet, sondern die absolute Normalität ist noch vor der alten, traditionellen, physischen Lebensrealität vor unserer Nase. Selbst die Geistwelt hat sich ausdifferenziert in unserer Zeit. Wir können in ihr alles Mögliche erledigen. Wir erledigen die Einkäufe, wir buchen Reisen und wir kommunizieren vor allem. Das hätten die Schamanen nicht gedacht. Letztlich ist der Flug in der Geistwelt nichts anderes als das Mind-Wandering, in dem wir uns ohnehin täglich zum Großteil der Zeit ergehen. Es ist nur eine weitere Verschachtelung dieser Seinsweise ins Virtuelle. Genauso wie der Zustand der Achtsamkeit uns aus dem Mind-Wandering herausholt, um uns für Gefahren in der physischen Welt zu wappnen, so können wir auch als Zombies die Augen wieder aufschlagen und unverzüglich zum Straßenverkehr zurückkehren. Die Kritik an den Zombies ist wie die Kritik an Hans-Guck-in-die-Luft. Sie hat eine lange Tradition und folgt stets einem ethischen Imperativ. Wobei sie eigentlich etwas unfair ist. Das ethische Ideal ist die ultimative Achtsamkeit, die niemand oder fast niemand erreichen kann und, so sagen es einige, auch überhaupt nicht wünschenswert ist. Die hiesige Realität, in der wir uns bewegen sollen, ist natürlich um vieles reicher; vor allem in kinesthetischen und olfaktorischen Dimensionen. Aber die Informationsdichte ist hier draußen einfach nicht so groß im Vergleich zu der unfassbaren Fülle, die in der Geistwelt erreichbar ist. Warum also nicht die meiste Zeit hier verbringen?
Ich habe den absoluten Pariser gefunden: mit hellbraunem Mantel, in anthraziter Hose, die deutlich über die Knie geht, mit schwarzen Lackschuhen, einem Hut, der perfekt zu dem leichten Mantel passt. Der rote Schal setzt den perfekten Kontrast. Er hat einen leichten Buckel. Er trägt natürlich ein Baguette und eine Zeitung in der Hand (warum auch nicht!) und sein Gesicht hat viel gesehen und ich bin froh, dass ich noch einmal, kurz bevor ich diese Stadt verlasse, den absoluten Pariser erblicken durfte.
Und dann betrete ich ihn, den kleinen Stadtgarten ohne Namen. Das Paradies, in dem alle Provenienzen nebeneinander in Einmütigkeit vereint sind. Es ist ein moderner Garten mit perfekt gemähtem Gras. Mit Schachtischen unter kleinen Arkaden, mit Narzissenbeeten und Schilf. Mit einzelnen Bäumen wie Zypressen und Flieder und anderen selteneren Baumarten. Es gibt eine kleine Fontäne. Und zu den Seiten hat man den Blick auf alle Architekturstile, die in dieser Stadt zu finden sind. Von der Klassik über verschiedene Stufen der Moderne und dazwischen das späte 19. Jahrhundert. Es sitzen hier viele Schwarze. Es gibt auch Kurierfahrer, die sich ausruhen. Und es gibt einen Trinkwasserspender. Der Klang der Straße, die gar nicht weit entfernt ist, ist absolut ausgelöscht. Es gibt Berberinnen und Araber und Weiße und Kinder und junge Mädchen und alte Frauen und alle liegen auf den Metallstühlen und sonnen sich. Es gibt keinen Hass in diesem Garten. Einer ist ultimativ photogen, ein etwa 50-jähriger schwarzer Mann mit einer Kofia, der aussieht, als wäre er der König dieses Jardins. Ich bin kurz davor ihn zu fragen, ob ich ihn fotografieren darf, aber dann finde ich das rassistisch und kann nicht begründen warum. Schade, oder? Während ich durch die Butterblumen streife und das Paradies wieder verlasse, fällt mir im letzten Blick auf, dass alle Menschen hier eines gemeinsam haben. Sie alle starren ausnahmslos in ihre Scheibe, die sie beleuchtet und die ihnen etwas zu bedenken gibt. Sie alle sind hypnotisiert von der Macht ihres Geräts und ich kann nicht beurteilen, ob dies alles zerstört oder alles erst ermöglicht.
Paris Triptychon: Die Touristen (Rechte Tafel)
Während ich so durch die Stadt gehe und die Leute beobachte, ihre Bewegungen beobachte und ihre Ästhetik, wird mir immer klarer, dass das Wichtigste ist, nicht wie ein Tourist auszusehen. All unsere Bemühungen sollten darauf hinauslaufen. Ich weiß, dass ich sehr davon beeinflusst bin, dass ich gerade selbst Tourist bin. Aber mir erschließt sich nicht, wie diese Wahrheit weniger eine Wahrheit sein soll, wenn ich die Stadt wieder verlasse. Nein, wir müssen wirklich alles daran setzen, wie ein Chamäleon die Spur des Touristischen abzulegen. Das Touristische an uns ist unser Akzent zu dem wir nicht stehen dürfen, wenn wir einen Kaffee bestellen, weil wir sonst übers Ohr gehauen werden. Zu Recht, die Einheimischen haben ein Recht, uns übers Ohr zu hauen, wenn wir unseren touristischen Akzent nicht verbergen können. Wir sind die Eindringlinge, die von ihrer Kultur leben. Gleichwohl wir sie finanzieren durch unser Eindringen, gleichwohl sie schon längst untergegangen wären ohne uns.
Eine französische Touristin trägt ein Bündel um ihre Schultern, das aus Plüsch ist und ein Blumenmuster hat. Bei näherem Hinsehen entpuppt es sich als ihre kleine Tochter, die vom Louvre in die Knie gezwungen worden ist und nun im Schlafwagen zurück ins Hotel reist.
Das Mädchen, vielleicht 16, ihr Haar hat einen leichten Rotstich, hat diese typischen Chucks in schwarz und einen dunkelblauen Mantel, Stangenware. Aber es steht ihr einfach, weil sie ihr mit ihrem selbstbewussten, aber nicht übertrieben selbstbewussten Blick nach vorne blickt und sich freut in Paris zu sein.
Die Touristen sind das Unheil, das diese Stadt am Leben erhält. Sie sind das, was man sich weg wünscht, und ohne das diese Stadt verloren wäre. Sie würde zerfallen, nach wenigen Jahren schon. Nichts könnte man mehr bezahlen. Gleichzeitig würde niemand mehr etwas anschauen. Und wenn eine Kathedrale abbrennt und keiner sieht es, macht das dann ein Feuer?
Man hat eine Tribüne aufgebaut, damit sich die Touristen vor Notre Dame setzen können und die Geschundene während ihres Wiederaufbaus wenigstens ein bisschen in Ruhe beobachten können. Findige Musiker nutzen das und platzieren sich vor der Tribüne. Und die Touristen spielen mit und freuen sich, weil sie ohnehin nicht wissen, weswegen sie eigentlich hier sind.
Das Pärchen: er hat irgendwann in der Linie arabische Einflüsse, ansonsten ist er weißer fränkischer Franzose, hat eine Glatze, arbeitet bei der französischen Telekom und sie ist etwas bleicher, gallischer, hat rote Haare und eine gerötete Nase und man kann nicht sagen ob es vom Tränen kommt oder von einem Schnupfen.
Überhaupt habe ich den Eindruck, dass es die Touristen irritiert, wenn man sich nicht absolut konform verhält, wenn man nicht absolut den Weg der Masse geht. Sie schauen einen irritiert an und verstehen nicht, warum man am Rande stehen bleibt und etwas anscheinend Sinnhaftes tut. Für sie gibt es nur den Weg zur nächsten Sehenswürdigkeit.
Ich sitze in einer portugiesischen Patisserie, was ich erst merke, nachdem ich es google, weil ich bemerkt habe, dass das Croissant nicht französisch schmeckt. Und dann kommen natürlich die Deutschen herein. Fünf Frauen, kulturell beflissen, wie man sagt, Freundinnen der Kultur, von denen eine halbwegs auf französisch bestellen kann. Sie kennen die Gebäcke und können einander erklären, worum es sich handelt. Dann setzen sie sich und erkennen die Musik. Es ist I Say A Little Prayer von Aretha Franklin. Und sie wissen auch, dass in ihrem Lieblingsfilm eine Cover-Version davon gesungen wird, und nicht das Original. Und die Cover-Version sei auch schön, was ich bezweifle, aber ich sitze ja nur hier und ich schäsäme das Lied, das ich zwar auch kannte, aber nicht benennen konnte. Und ich wusste vor ihnen, dass es I Say A Little Prayer ist von Aretha Franklin, in der Original-Version. Und das Einzige, was mich davon abhält, zu erkennen, dass ich genauso ein blöder Tourist bin wie sie, ist, dass ich meine Identität nicht preisgebe. Noch wissen sie wahrscheinlich nicht, dass ich Deutscher bin. Aber das wird sich ändern in dem Moment, da ich mit starkem Akzent Päjeh Silwupleh sage und alle hören, dass ich kein Französisch kann.
Als Tourist bist du wie Teil eines Fischschwarms. Dein Schutz vor den Taschendieben besteht darin, dass ihr viele seid und dass es niemals so viele Taschendiebe geben wird wie Touristen. (Warum eigentlich?) Das ist jedenfalls dein einziger Schutz. Hinter jeder Ecke stehen sie und sind wie die Löwen auf der Pirsch. Wie die Löwen gehen sie zuweilen mitten durch die Menschen. Ohne Tarnung, ganz offen, zeigen sie was sie wollen. Und nur weil keiner weiß, wie man sie los wird und auch nicht den Mut hat, bleiben sie unbehelligt.
Die elegante Latina mit ihrem teuren Mantel macht Bilder von den Sehenswürdigkeiten und trägt einen leicht genervten Zug um die Lippen, der Ungeduld gegenüber ihrem Mann erkennen lässt. Sie hat es nicht geschafft einen Reichen Gutaussehenden zu bekommen, sondern nur einen Reichen. Und das macht sie fürs Leben unglücklich. Sie weiß nicht, dass sie noch unglücklicher wäre mit einem Gutaussehenden, der die ganze Zeit fremd ginge.
Das Beobachten ist keine leichte Angelegenheit. Man muss die Menschen anschauen, um beobachten zu können, und darf andererseits niemals zu lange hinschauen. Wer zu lange hinschaut, riskiert nicht nur einen Kommentar oder gar einen Angriff (ich bin paranoid). Er riskiert auch, dass das Bild zerfällt. Er riskiert seinen schönen Stereotyp. Er riskiert, dass das Fantasiegebilde, das er beobachtet hat, zusammenbricht. Und dann muss er von vorne anfangen. Nur, dann wird er ein zweites Mal hinschauen und wird wieder das Bild verlieren können. Und dies wird sich, wenn er nicht aufpasst, immer wieder und wieder wiederholen. Und am Ende kommt er bei dem raus, was er ohnehin schon weiß.
Viele Frauen zwischen 50 und 70 tragen jetzt goldschimmernde Jacken. Sie wissen nicht, dass das etwas ist, was eigentlich nur als Statement benutzen darf. Und so normalisieren sie diese Besonderheit ohne Not, alle machen also immer Statements ohne Not, genauso wie sie es vor 10 Jahren mit Leopardenmuster gemacht haben. Und die Subversion wird Konformität. Wir haben eine Normalisierung der Karens. Sie begegnen uns überall und jede von ihnen könnte jederzeit den Manager verlangen.
Man entwickelt Methoden, mit denen man die Einheimischen von den Touristen unterscheiden kann. Es bleiben zwei Klassen von Menschen. Wobei man nicht sagen kann, welches die übergeordnete Klasse ist. Für die Einheimischen spricht ihre Ortskenntnis und die Selbstverständlichkeit, mit der sie hier wohnen. Und für die Touristen spricht ihr Reichtum. Aber der Reichtum in der Stadt Paris zu wohnen, der Reichtum in einer Stadt zu wohnen, in die alle fahren wollen, übertrifft dies doch, oder nicht?
Die Unterscheidung ist auch nicht durch die Sprache möglich, denn die Hälfte der Touristen sind Franzosen und ich kann den Lyon-Akzent nicht vom Bretagne-Akzent unterscheiden.
Die drei Filipinos sehen aus wie eine Boyband. Aber könnte heutzutage nicht jeder Teil einer Boyband sein?
Die Latina mit einem viel zu kurzen Rock, Lederjacke, die ihre Zunge in die Backe drückt, zumindest sieht es so aus. Dann bemerke ich, dass die Wölbung nicht mehr verschwindet und lerne, dass dies ihre natürliche Gesichtsform ist.
Die Dummdreistigkeit der Touristen hat auch mit ihrer Gruppennatur zu tun. Die Aushandlung von Entscheidungen in Gruppenprozessen ist ineffektiv und funktioniert über Schwellenwerte. Sie stehen irgendwo herum, beraten halbherzig, was sie als nächstes tun wollen, wie sie verfahren wollen, da sie hier keinen Platz bekommen, weil sie zu viele sind, und schauen sich dabei einfältig an. Selten übernimmt einer die Initiative. Langsam kulminiert das Anschwellen einer Neigung und die Gruppe setzt sich schwerfällig in Bewegung. Dabei sehen sie immer etwas gestriegelt aus und tragen eine Ästhetik hinein, der nicht zum Ort passt.
Es gibt auch diejenigen, die schon Paris-Experten sind, die Touristen erster Klasse, die mit offenem Mund leicht genervt gar nicht fassen können, dass man ihnen im Weg steht. Gleichwohl haben sie keine Argumente, warum man sie bevorzugt behandeln sollte, unterscheiden sie sich von den anderen Touristen doch nur durch ihr geringfügig besseres Wissen von der Stadt, durch ein paar Erlebnisse aus früheren Aufenthalten, und die akkumulierten Zug- und Flugkosten, die sie fein säuberlich zu Hause in einem extra angelegten Ordner dokumentieren.
Es gibt unterschiedliche Strategien seine touristische Natur zu verleugnen. Die erste Strategie wäre, schneller zu gehen als üblich, sodass man sich von den Touristenmassen abhebt und aussieht wie einer, der etwas zu erledigen hat. Dabei sollte man aber nie hektisch wirken, als wolle man noch seine Bahn erreichen oder seine Guided Tour nicht verpassen. Man kann auch langsamer gehen, schlendern. Dann allerdings muss man sehr darauf achten, niemals mit Kopfbewegungen zu den Sehenswürdigkeiten aufzufallen, sondern wenn man sie sehen will, muss man mit Augenbewegungen seitlich hinschielen und hoffen, dass man dann genug sieht. Hier kann auch eine Sonnenbrille hilfreich sein. Bestimmte Accessoires sind aber in jedem Fall zu vermeiden. So zum Beispiel bedruckte Taschen oder alles, was man sich noch vor Ort provisorisch kaufen würde. Zu viel und zu große Rucksäcke, Regenjacken vor allem, sind verboten. Man darf weder begeistert wirken, noch darf man missmutig aussehen, wie einer, der erschöpft und enttäuscht vom Angebot ist. Wenn man fröhlich sein will, muss man authentisch und leichtfertig froh sein und wenn man missmutig sein will, dann muss man eine zielsichere Bosheit ins Gesicht legen. Niemals sollte man, wenn man auf sein Smartphone schauen muss, so aussehen, als würde man einen Weg ergoogeln. Am lustvollsten ist es, solche Bürgerdarsteller zu entlarven, ihre Methoden und Maschen zu erkennen und freizulegen, wie sie ihr Touristendasein unfreiwillig preisgeben, weil sie das Regelbuch des Inkognito nicht beherrschen.
Und dann gibt es noch die Schönheit, die nur durch ihr Make-up gehalten wird. Sie ist beeindruckend, alles an ihr perfekt. Doch sie trägt es wie eine Maske, und die Maske ist flüchtig. Sie weiß, wie viel Arbeit sie heute Morgen hineingesteckt hat in ihre Begehrlichkeit. Sie hat es für diesen Tag gemacht, und sie hat es sich verdient. Und durch das Glück, das sie heute erfährt, kann sie zeitweise vergessen, dass sie das Make-up heute Abend ablegen muss.
Und die Allerschlimmsten sind die Europäer, die mit pinken Baskenmützen nach Paris kommen. Die Französinnen dürfen das natürlich, und die Pariser dürfen das sowieso. Aber eine Italienerin oder eine Deutsche, die sich eine Baskenmütze anmaßt, ist nicht viel anders als ein Japaner, der mit Dirndl aufs Oktoberfest geht. Nur ist das Oktoberfest in seiner Selbstbeschreibung eine Kostümparty, und Paris ist das nicht.