Das wohl herausragende Ereignis der zeitgenössischen Anthropologie war der Kontakt zwischen Hochseefischern und der fiktiven Gesellschaft der Nem’Nesch vorigen Jahres etwa am Übergang von Südpazifik und Südpolarmeer. Inmitten des größten vermeintlich unbewohnten Gebietes der Hohen See fand man, getrieben durch die immer verzweifeltere Suche nach Fischgründen, auf einer bisher unkartografierten Vulkaninsel das hochentwickelte Volk der Nem’Nesch. Wie sich in diesem überschaubaren Staatswesen mit vermutlich einer halben Million „Bürgern“ (die Angemessenheit dieses Begriffes wird disktutiert) eine derart komplexe soziokulturelle Entität entwickeln konnte, ist gegenwärtig noch völlig unklar und beschäftigt praktisch den gesamten Berufstand der Ethnologen und Anthropologen.
Schnell ist ersten „altglobalen“ Besuchern (der Begriff soll die Gesamtheit der bisher bekannten, globalisierten Menschheit gegen die Nem’Nesch abgrenzen) aufgefallen, dass die Kultur dieses Volkes, insbesondere seine Musik, in ihrer Machart, Wirkung und Spiritualität von bemerkenswerter Divergenz zur bisher bekannten „altglobalen“ Musik ist. Offensichtlich haben die Nem’Nesch andere Instrumente und Melodien. Aber haben sie auch andere Formen und Tonsysteme?
Prof. Dr. fikt. Franz P. Apfelgasth ist Musiktheoretiker und Musikanthropologe und hat sich für ein Team Forschungsreisender, das sich in den letzten Monaten unter Erlaubnis der Nem’Nesch auf deren Staatgebiet aufhalten durfte, mit der Musik der Nem’Nesch auseinandergesetzt und wird uns in einem Vortrag mit vielen Beispielen diese auf unterhaltsame Weise näher bringen.
Stephan Pfalzgraf – Piano, Vortrag
Mitwirkende:
Christoph Litzinger
Anastasia Churbanova
Bjarne Sitzmann
Catalina Geyer
Kristina Shamgunova
1. Februar 2023 20:00 Uhr im Jazzclub Kazzwoo
Diese Veranstaltung enthält zusätzliche Materialien, die online einzusehen sind:
Instrumente (bitte beachten Sie, dass die Funktionsweise der Nem’Nesch-Instrumente nicht zureichend erforscht ist):
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Historiografische Vermerke:
Wissenschaft
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Kommentar zum postkolonialen Diskurs:
Die aktuelle Ausgabe der Lösung (#18) spielt ganz bewusst mit Assoziationen zu gängigen Topoi der Ethnologie und Colonial Studies. Dies sollte weder als Anbiederung an jene, noch als Kritik derselben aufgefasst werden. Fragestellungen, welche sich auf postkoloniale Diskurse beziehen, sollten nach Überzeugung des Künstlers nicht mit den Mitteln der Kunst, sondern mit denen der Wissenschaft bearbeitet werden. In diesem Sinne ist das vorliegende Werk kein politisches Kunstwerk; der Künstler lehnt politische Kunst vielmehr ab und hält sie für ein Spielzeug des Establishments, um sich nicht auf echten Aktivismus einlassen zu müssen. Letzeren erkennt er in seiner Daseinsberechtigung im Übrigen voll und ganz an. Hier finden Sie eine Analyse, was genau mit „politischer Kunst“ gemeint ist. Damit sollte sich auch die Frage erübrigen, warum dieses Werk sich also dennoch mit als „politsch“ geframeten Themen beschäftigt:
Erstens kann in einem gewissen Sinne jeder Daseinbereich politisiert werden, da politische Fragen die menschliche Existenz bis ins Tiefste durchdringen; das heißt aber nicht, dass es sich bei jedem Kunstwerk um ein politisches handelt. Vielmehr muss für einen starken Begriff politischer Kunst u.a. der Sachverhalt gegeben sein, dass sich ein Kunstwerk eindeutig positioniert. (Dies wiederum steht freilich im Gegensatz zu einem der wichtigsten Merkmale guter Kunst überhaupt: eine möglichst mannigfaltige Deutungsoffenheit aufgrund struktureller Ambivalenz). Ein Kunstwerk, welches sich mit gesellschaftlich relevanten Themen beschäftigt, ist daher noch lange kein politisches.
Zweitens dient das gewählte Szenario der Entwicklung eines Ideenraumes in Isolation; seine Fiktionalität ermöglicht die Epoché (im übertragenen Sinn) von gängigem Wissen, althergebrachten Traditionen und verbrauchten Denkmustern. Die Kraft eines Kunstwerks liegt allein in seiner ästhetischen Wirkmacht (und das beinhaltet die dialektisch inbegriffenen Felder der Exuberanz und Anästhetik).
Das heißt aber nicht, dass Kunst keine gesellschaftliche Relevanz hätte: Viel mehr geht sie den Dingen weitaus tiefer auf den Grund. Sie ist vereinfacht gesagt eine Seh-(und Hör-)Schule. So erklärt sich auch, warum die entdeckte Kultur im Szenario eben gerade nicht eine sogenannte „primitive“ ist, sondern eine der bisher bekannten Gesellschaft weit überlegene. Damit wird eine meist unhinterfragte Grundprämisse von indigener Unterlegenheit umgekehrt und ein Perspektivwechsel ermöglicht. Das bedeutet weder eine explizite Parteinahme für politische Positionen in diesem Kunstwerk noch eine absolute Neutralität des Künstlers in allen Positionen, was wiederum eine verkorkste Vorstellung von Universalismus wäre.
Seien Sie bitte unbedingt anderer Meinung und teilen Sie sich mit, aber nach Möglichkeit nicht während oder nach der Veranstaltung, sondern per Email und in nüchternem Zustand.
Kommentare von stephan