Stephan Pfalzgrafs Klavierimprovisationen beziehen ihre formale Kraft und Tonsprache aus der klassischen Tradition und ihren spielerischen Drive aus dem Jazz.
Eine Melodie fällt, gleich den letzten blonden Blättern auf den feuchtgesogenen Asphalt. Sie fällt in einem dunkelroten Abendlicht, das hinter allem glüht, ein Wandteppich aus morschen Akkorden. Spätjahresfäden ziehen sich duftend nach Erde und Nebel hinauf in die zweite Melodie, die nun kraftlos und sanft steigt und das Gemüt in eine bange Hoffnung auf Einkehr hebt. Der Regen. Beide Melodien streiten. Sie lassen einander nicht sein. Durchtränkt von Kälte formt sich etwas Neues aus den beiden, andere Gedanken blitzen auf, doch immer wieder fallen, steigen die bekannten Stimmen ab und auf und mischen sich. Der Regen geht, die Wolken ziehen weiter, Erschöpfung dimmt die Dämmerung; erste Lichter auf den Wegen, in den Wagen blitzen auf. Die erste Melodie beginnt sich nun von neuem, fast geläutert, ganz erschöpft, herauszuwinden aus dem Duft von nassem Laub. Die zweite Melodie taucht auf, und jetzt ist etwas anders: Beide schwingen in der selben Harmonie, doch ohne ihr Wesen zu leugnen. Die Nacht ist eingetreten. Behaglichkeit rinnt aus den Häusern, die umschmiegt von beiden Melodien safrangelbe Lichter in die Dunkelheit entsenden.
Der große Beitrag des Jazz in die Musik ist die Entwicklung und Implementierung einer komplexen Improvisationssprache. Diese ist jedoch in den meisten Fällen nahezu formlos – die Soli haben meist keinen Anfang und kein Ende. Das ist zumeist auch nicht nötig, weil die Spielpraxis im Jazz aus der Tanzmusik heraus entstanden ist: Der treibende Rhythmus und der immergleiche Ablauf „Thema – 1. Solist – 2. Solist – 3. Solist – Schlussthema“ erzeugen eine Struktur, in deren Rahmen es für den Zuhörer interessant ist, wie die einzelnen Solisten sie Sprache sprechen, nicht so sehr was sie sagen. In dem Moment jedoch, wo der Jazz endgültig den Übergang zur Kunstmusik macht, wird es auch interessant, nach diesem „was“ zu fragen. Und hier kann die klassische Musiktradition aushelfen, die sich ja als eine Vervollkommnung der Formidee entwickelt hat. Könnte man die Improvisation mithilfe klassischer Formprinzipien in etwas neues transformieren? Oder um es nocheinmal einfacher zu formulieren: Kann man so improvisieren, dass es komponiert klingt?
Stephan Pfalzgraf – Piano
6.12. im Kazzwoo Mannheim
20:00 Uhr
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